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Zum Thema Arbeitsrecht
- Arbeitsunfähig während Kündigungsfrist: Fehlender Kausalzusammenhang führt zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
- Demokratie herabgewürdigt: "Reaktionär faschistoidem Staat" ist Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar
- Fortsetzung nicht zumutbar: Veröffentlichtes Video mit "Impfung macht frei" führt zur Kündigung eines Lehrers
- Trotz DSGVO-Verstoßes: Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs auch nach widerrechtlicher Datenauswertung möglich
- Unternehmerisches Risiko: Arbeitgeber kann im Kündigungsfall keine Vermittlungsprovisionen auf Arbeitnehmer abwälzen
Es wird stets problematisch, wenn eine Arbeitsunfähigkeit mit der Kündigungsfrist zusammenfällt. Ob der Arbeitnehmer bei seiner Krankmeldung bereits etwas von seiner Kündigung ahnte, blieb in diesem Fall des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) ebenso unbeachtet wie eine derartige Mutmaßung des Arbeitgebers. Denn der Arbeitnehmer hatte durch sein Timing alles richtig gemacht.
Ein Arbeitgeber wurde von einem Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verklagt. Der Arbeitnehmer meldete sich am 02.05. krank und legte daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) seines behandelnden Arztes für den Zeitraum vom 02.05. bis zum 31.05. mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Die Arbeitgeberin kündigte ihrerseits das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.05. zum 31.05. Das entsprechende Schreiben ging dem Arbeitnehmer am 03.05. zu. Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung, da die Krankschreibung und die Kündigungsfrist identisch seien.
Das sah das LAG nicht so, so dass der Arbeitnehmer den Rechtsstreit gewann. Meldet sich der Arbeitnehmer zuerst krank und erhält dann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es in der Regel an dem für die Erschütterung des Beweiswerts der AU notwendigen Kausalzusammenhang.
Hinweis: Wird einem Arbeitnehmer erst gekündigt, und reicht er daraufhin eine AU für den gesamten Zeitraum der Kündigungsfrist ein, kann der Beweiswert einer AU in der Tat erschüttert werden. Das sollten Arbeitnehmer stets im Auge behalten.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 08.03.2023 - 8 Sa 859/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Es ist immer wieder erstaunlich, dass sich Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu Vergleichen mit der Nazidiktatur hinreißen lassen. Im Fall vor dem Landesarbeitsgericht München (LAG) ließ sich ausgerechnet eine Referentin für Rundgangführungen im ehemaligen Konzentrationslager Dachau zu einem Faschismusvergleich hinreißen.
Die Frau, die bei einer vom Freistaat Bayern errichteten Stiftung des öffentlichen Rechts als Referentin für Rundgangführungen in der KZ-Gedenkstätte Dachau beschäftigt war, trat auch bei "Anti-Corona-Bewegungen" als Rednerin auf. Wörtlich sagte sie bei einer Demonstration auf dem Münchner Königsplatz Ende Januar 2022: "Wir haben es hier mit der schärfsten Faschisierung im Staat und Gesellschaft zu tun. Seit der Gründung der Bundesrepublik. (...) Und ihr seht die Ignoranz dieses Staates, dieses reaktionär faschistoiden Staates, der meint, er kann sich abschütteln." Als der Arbeitgeber davon erfuhr, kündigte er der Arbeitnehmerin ordentlich zum 30.06.2022, wogegen sie klagte - dies jedoch erfolglos.
Denn wer Führungen in einer KZ-Gedenkstätte wie Dachau macht und die Besucher betreut, darf laut LAG seinen demokratisch gewählten, staatlichen Arbeitgeber nicht mit einem Faschistenstaat gleichstellen. Dadurch wird die Demokratie herabgewürdigt. Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses war dem Arbeitgeber daher unzumutbar.
Hinweis: Wer für den Staat tätig ist und die Bundesrepublik Deutschland als "reaktionär faschistoiden Staat" bezeichnet, muss mit einer Kündigung rechnen - und das zu Recht.
Quelle: LAG München, Urt. v. 18.07.2023 - 7 Sa 71/23
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Bei der Verharmlosung des Holocausts kennen die meisten Arbeitgeber kein Pardon. Vor allem öffentliche Arbeitgeber sehen sich in der Pflicht, Umtriebe ihrer Beschäftigten dahingehend im Auge zu behalten - und im Ernstfall empflindlich zu ahnden. Auch der Lehrer dieses Falls wird gewusst haben, welche Konsequenzen ihm drohen. Dass das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) Verfahrensfehler bei der Kündigung festgestellt hat, änderte final nichts an der Tatsache, dass dem Land Berlin die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar war.
Ein beim Land Berlin angestellter Lehrer war mit der Corona-Politik der Bundesregierung im Jahr 2021 nicht einverstanden und veröffentlichte auf YouTube ein Video, das mit der Darstellung des Tors eines Konzentrationslagers begann. Der Originalschriftzug des Tors "Arbeit macht frei" war durch den Text "Impfung macht frei" ersetzt. Das Land kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise fristgemäß. Es war der Auffassung, der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um die Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Das komme einer Verharmlosung der Unrechtstaten der Nationalsozialisten gleich und missachte die Opfer. Da das Land Berlin eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Lehrer nicht mehr erkennen konnte, beantragte es zudem für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe der §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz aufzulösen. Der Lehrer sah dagegen keinen Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis und klagte gegen die Kündigung.
Auch das LAG meinte, dass die Kündigung unwirksam war. Denn das Land Berlin hatte einen schwerwiegenden Verfahrensfehler gemacht. Es hatte dem Personalrat nur einen Screenshot des Eingangsbilds des Videos als Kündigungsgrund genannt - daher konnte es sich im Verfahren auch nur darauf berufen. Somit war eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinungsäußerung nicht eindeutig festzustellen. Trotzdem war dem Land Berlin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen der Äußerungen im Video nicht zuzumuten. Daher wurde das Arbeitsverhältnis dennoch zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.03.2022 gegen Zahlung einer Abfindung von 72.000 EUR aufgelöst.
Hinweis: Jegliche Verharmlosung von Taten der Nazidiktatur können bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst zur Beendigung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses führen. Das ist seit langem bekannt - und alle Beschäftigten, ob verbeamtet oder nicht, sollten sich daran halten.
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2023 - 10 Sa 1143/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gibt unter anderem vor, wann eine Videoüberwachung von wem wie abzulaufen hat, und vor allem, wie lange erhobene Daten gespeichert und entsprechend verwertet werden dürfen. Dass aber auch eine Videoüberwachung, die gegen datenschutzrechtliche Grundsätze verstößt, zu einer Kündigung führen kann, zeigt dieser Fall, der bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging.
Ein Arbeitnehmer war in einer Gießerei beschäftigt, in der es eine Videoüberwachung gab, auf die auch durch entsprechende Schilder hingewiesen wurde. Der Arbeitnehmer betrat an einem Tag das Betriebsgelände - offensichtlich in der Absicht, diesen Tag bezahlt zu bekommen. Auf einen anonymen Hinweis zu angeblich regelmäßigem Arbeitszeitbetrug hin sah sich der Arbeitgeber die Aufzeichnungen an und musste feststellen, dass der Arbeitnehmer noch vor Schichtbeginn das Werksgelände wieder verlassen hatte. Das hielt er für einen Arbeitszeitbetrug und kündigte dem Mann. Der Arbeitnehmer legte dagegen eine Kündigungsschutzklage ein und meinte, dass er an dem Tag gearbeitet habe. Zudem unterlägen die Videos aus der Videoüberwachung einem Beweisverwertungsverbot und könnten in einem Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.
Damit bekam der Gekündigte in den Vorinstanzen noch Recht. Vor dem BAG war damit aber Schluss. In einem Kündigungsschutzprozess bestehe grundsätzlich kein Verwertungsverbot für solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Dies gelte auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben der DSGVO stehe. Das BAG verwies die Angelegenheit daher an die Vorinstanz - das zuständige Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) - zurück.
Hinweis: Nach Auffassung des vorinstanzlichen LAG hatte es den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung nach Art. 5 DSGVO eklatant widersprochen, dass die herangezogenen Videoaufzeichnungen zum Zeitpunkt der Auswertung teilweise bereits ein Jahr lang zurückgelegen hätten. Laut Mitteilung des BAG sei es aber möglich, dass datenschutzrechtliche Abweichungen gegen Löschpflichten bei einer offenen Videoüberwachung und bei einem vorsätzlich vertragswidrigen Verhalten nicht zugunsten eines Verwertungsverbots entscheiden.
Quelle: BAG, Urt. v. 29.06.2023 - 2 AZR 296/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Häufig werden Arbeitnehmer erst durch einen Personalvermittler gefunden. Doch muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die gezahlte Provision für die Vermittlung ersetzen, wenn er kurz nach Abschluss des Arbeitsvertrags kündigt? Die Antwort auf diese Frage kann das Bundesarbeitsgericht (BAG) geben.
Über eine Personalvermittlung fand ein Arbeitnehmer einen neuen Arbeitgeber. Dieser zahlte an den von ihm beauftragten Personaldienstleister 4.500 EUR Provision, der nach erfolgreich absolvierter Probezeit des neuen Mitarbeiters weitere 2.230 EUR erhalten sollte. Im Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber war der Arbeitnehmer verpflichtet worden, die gezahlten Provisionen zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht mindestens ein Dreivierteljahr bestehen sollte. Dennoch kündigte der Arbeitnehmer nach vier Monaten das Arbeitsverhältnis fristgerecht. Daraufhin behielt der Arbeitgeber 800 EUR netto von der letzten Vergütung ein. Dagegen zog der Arbeitnehmer vor das Arbeitsgericht. Im Zuge der Widerklage verlangte der Arbeitgeber weitere 3.700 EUR.
Vor dem BAG bekam der Arbeitnehmer Recht. Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, gezahlte Vermittlungsprovisionen zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, war unwirksam. Das ergibt sich aus § 307 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Das unternehmerische Risiko habe nämlich grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen - auch für den Fall, dass sich Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht "lohnen", weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es besteht deshalb kein rechtmäßiges Interesse des Arbeitgebers, solche Kosten auf den Arbeitnehmer abzuwälzen.
Hinweis: Für die Vermittlung eines Arbeitnehmers muss grundsätzlich nur der Arbeitgeber zahlen, wenn er das mit einem Personalvermittler zuvor vereinbart hat. Kündigt der betreffende Arbeitnehmer kurze Zeit später, hat der Arbeitgeber schlichtweg unternehmerisches Pech gehabt.
Quelle: BAG, Urt. v. 20.06.2023 - 1 AZR 265/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Zum Thema Familienrecht
- Billigkeitsprüfung bei Versorgungsanrechten: Wer sein Anrecht aus privater Altersversorgung verschweigt, bekommt vom anderen auch nichts
- Ex droht mit Nacktfotos: OLG Hamm entscheidet über Verfahrenskostenhilfe zur Durchsetzung der sexuellen Selbstbestimmung
- Existenzminimum hat Vorrang: Unterhaltspflichtiger Vater von drei Kindern darf nicht studieren
- Nachlassforderung trotz Pflichtteilsverzichts: Erben müssen Unterhalt der geschiedenen Witwe zahlen
- Nicht zusammen eingeklagbar: Ansprüche zur Nutzungsentschädigung vor und nach der Scheidung sind getrennt zu behandeln
Bei einer Ehescheidung werden alle Altersversorgungen mit dem jeweiligen Ehezeitanteil hälftig geteilt. Um zu wissen, welche Versorgungsträger wegen eines solchen Auskunftsersuchens angeschrieben werden müssen, füllen die Scheidungswilligen für das Gericht ein Formular (V10) aus, in dem sie jeweils ihre Versorgungsträger angeben. Der folgende Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) zeigt auf, welche betrügerischen Möglichkeiten des "Vergessens" von Angaben es gibt, um sich entsprechende Vorteile zu verschaffen.
Eine Frau trieb es besonders arg: Erst verschwieg sie ein Anrecht im Formular, dann löste sie einen Vertrag aus einer privaten Altersversorgung auf (was nur deshalb möglich war, weil der Versorgungsträger keine Post vom Familiengericht erhalten hatte) und gab die etwa 15.000 EUR aus. Schließlich beschwerte sie sich auch noch darüber, dass sie von der Betriebsrente des Manns noch nichts bekommen habe, weil der Mann noch nicht lange genug bei diesem Arbeitgeber gearbeitet hatte. Sie würde im Rentenalter hiervon nochmal einen "schuldrechtlichen" Ausgleich zugesprochen bekommen, weil man dann erst errechnen kann, wie hoch der Ehezeitanteil war.
In dem OLG-Verfahren fiel dann aber die Sache mit dem verschwiegenen und aufgelösten Anrecht auf - das OLG traf eine sogenannte Billigkeitsentscheidung nach § 27 Versorgungsausgleichsgesetz. Eine grobe Unbilligkeit liegt vor, wenn eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls dem Grundgedanken der gesetzlichen Halbteilung in unerträglicher Weise widerspricht. Weil die Frau ihren Altersvorsorgevertrag verschwiegen und aufgelöst hatte, wurde ihr im Gegenzug die Teilhabe an der Betriebsrente des Manns im Alter endgültig verwehrt.
Hinweis: Diese Rechtsprechung ist nicht ohne weiteres auf den Fall übertragbar, in dem jemand nach Trennung, aber vor dem Scheidungsverfahren ein privates Altersvorsorgevermögen auflöst und ausgibt. Kann er nachweisen, dass er das Geld für neue Möbel, Anwaltskosten oder ähnlichen trennungsbedingten Mehrbedarf benötigte, bekommt der andere Ehegatte keinen Ausgleich und keine "Billigkeitsentscheidung".
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 30.06.2023 - 9 UF 166/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Dass man gewisse Risiken eingeht, wenn man jemandem seine Nacktbilder schickt, liegt auf der Hand - aber immerhin hat man rechtliche Möglichkeiten, sich gegen die Veröffentlichung im Internet zu wehren. Obwohl das nach einer Selbstverständlichkeit klingt, sah das Amtsgericht Bielefeld (AG) das zunächst anders. Doch dann war das Oberlandesgericht Hamm (OLG) am Zug.
Eine Frau wollte Verfahrenskostenhilfe (VKH) - so nennt man die Prozesskostenhilfe vor Familiengerichten - für einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Exfreund. Die Familienkammer des AG sollte ihm untersagen, die Bilder wie angedroht zu veröffentlichen, und dem Verbot mit Zwangsgeld bzw. Zwangshaft bei Zuwiderhandlung Nachdruck verleihen. Das AG gewährte der Frau aber keine VKH. Es meinte, dass die angedrohte Handlung keine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung darstelle.
Das OLG hob diese Entscheidung auf und machte deutlich: An Bildern, die zwar "befugt" entstanden und überlassen worden sind, weil die abgebildete Person sich selbst fotografiert und das Foto mit dem anderen geteilt hat, bleiben doch gewisse Rechte bei der abgebildeten Person - insbesondere bei einem intimen Motiv. Eine Strafbarkeit, Bilder mit sexuellen Darstellungen gegen den ausdrücklichen Widerspruch im Internet zu veröffentlichen, sei gar nicht abwegig. Der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch gehe sogar über die Straftatbestände hinaus. Deshalb müsse die Frau die rechtliche Möglichkeit haben, das im Vorfeld mit gerichtlicher Hilfe zu verhindern. Denn mittellosen Frauen dürfe nicht der Zugang zum Rechtssystem verwehrt werden. Deshalb gewährte das OLG die VKH und gab die Akte zurück zum AG.
Hinweis: Im VKH-Prüfverfahren dürfen die Richter nicht allzu streng bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten sein, weil mittellose Rechtssuchende sonst benachteiligt werden könnten. Wenn das Gericht also für möglich hält, dass Ansprüche bestehen, muss es das nicht erst komplett "durchprüfen", sondern erstmal VKH bewilligen.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 13.07.2023 - 1 WF 93/23
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Der Mindestunterhalt für Kinder ist dem Gesetzgeber und den Gerichten heilig. Wer den nicht zahlen kann, braucht eine sehr gute Begründung. Die meinte ein Vater zu haben, denn er studierte und konnte deshalb den Mindestunterhalt für drei Kinder nicht aufbringen. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) musste seinen Bildungshunger mit seiner Unterhaltspflicht abwägen.
Zwei Ausbildungen hatte der Mann nach dem Abitur bereits absolviert: bei der Bundeswehr einen Abschluss als Kaufmännischer Assistent für Fremdsprachen und in der öffentlichen Verwaltung einen Abschluss als Verwaltungsfachangestellter. Das berufsbegleitende Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht im Studiengang Öffentliche Verwaltung sollte sechs Semester dauern, zu dem Abschluss Bachelor of Laws führen und für den gehobenen Verwaltungsdienst qualifizieren. Um das zu schaffen, arbeitete er während der Semester nur Teilzeit 20 Wochenstunden, während der Semesterferien Vollzeit und konnte damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern - nicht aber den der drei Kinder. Er meinte, das begonnene Bachelorstudium sei als eine Erstausbildung zu bewerten, weil der Bildungsgang "Abitur, Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten, Studium" als eine einheitliche mehrstufige, zeitlich zusammenhängende Ausbildung zu sehen sei.
So wird es zwar in der Rechtsprechung gesehen, wenn es um den Unterhalt der Studenten gegen ihre Eltern geht, nicht aber, wenn der Student selbst Unterhaltspflichten zu erfüllen hat. Das OLG verurteilte den Mann daher erwartungsgemäß zum Mindestunterhalt. Auf sein tatsächliches Einkommen könne er sich nicht zurückziehen, da ihn gegenüber den minderjährigen Kindern eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit trifft. Seine Leistungsfähigkeit werde nicht nur durch tatsächlich vorhandenes Einkommen, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit und seine Erwerbsmöglichkeiten bestimmt. Sein Interesse an einer Aus- oder Weiterbildung sei nachrangig, wenn er bereits über eine Berufsausbildung verfüge, die ihm durch Erwerbsmöglichkeit in dem erlernten Beruf eine ausreichende Lebensgrundlage biete. Das Interesse des Vaters, zugunsten des Studiums seine Erwerbstätigkeit so weit zu reduzieren, dass er den Mindestunterhalt für seine drei Kinder nicht mehr aufbringen konnte, trat unter den gegebenen Umständen hinter dem Interesse der Kinder an der Sicherung ihres Existenzminimums zurück.
Hinweis: Anders kann es sein, wenn der Unterhaltspflichtige seine Erwerbstätigkeit nicht zum Zweck einer Zweitausbildung oder der Weiterbildung in dem erlernten Beruf, sondern zugunsten einer erstmaligen Berufsausbildung aufgegeben hat. Einer solchen Erstausbildung ist regelmäßig auch gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht der Vorrang einzuräumen. Denn die Erlangung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf gehört zum eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich vorrangig befriedigen darf.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 22.06.2023 - 13 UF 43/21
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Dass Erben einer geschiedenen Witwe weiterhin Unterhalt zahlen müssen, regelt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Die Anwendbarkeit dieser Regelung war beim Oberlandesgericht Celle (OLG) im Zusammenhang mit einem Ehevertrag zu prüfen. In dem Ehevertrag hatten nämlich die Ehefrau und der - nun verstorbene - Ehemann nicht nur den Unterhaltsanspruch recht eigenwillig geregelt, sondern auch gegenseitig auf Pflichtteilsansprüche verzichtet.
Für die geschiedene Ehefrau ging es nun im Streit mit den Erben - ihren Stiefkindern - um knapp 600.000 EUR. Zu prüfen war zunächst, ob die vertragliche Unterhaltsregelung nur die gesetzlichen Ansprüche konkretisierte oder ob es sich um eine sogenannte selbständige Unterhaltsvereinbarung, also rein vertragliche Ansprüche, handelte. Denn § 1586b BGB findet nur auf "gesetzliche" und "das Gesetz konkretisierende" Unterhaltsansprüche Anwendung.
Das OLG legte die vom Gesetz abweichende Individualvereinbarung als "selbständig" aus. Daher war im nächsten Schritt zu prüfen, ob diese nach dem mutmaßlichen Willen der Vertragsbeteiligten auch über den Tod des Verpflichteten hinaus gelten sollte. Das bejahte das Gericht und legte dazu die Gesamtvereinbarung und ihren Versorgungscharakter für die Frau aus. Für eine lebenslange Unterhaltsrente der Klägerin - über den Tod des Manns hinaus - spreche auch, dass die Ehegatten eine Befristung der Unterhaltsverpflichtung bis zu dessen Tod hätten aufnehmen können, dies aber unterlassen haben. Die Parteien des Ehevertrags gingen wegen der sehr guten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Manns ersichtlich von einer unbeschränkten Leistungsfähigkeit des Erblassers bis zu seinem Tod und im Hinblick auf den zu erwartenden hohen Nachlass auch über seinen Tod hinaus aus.
Das Argument des Landgerichts, durch den Pflichtteilsverzicht hätten die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass das Erbe nicht mit Unterhaltsansprüchen belastet werden solle, trug das OLG nicht mit. Der Pflichtteilsverzicht der Klägerin sei gerade bei einem lebenslangen Anspruch auf Unterhalt für den Fall sinnvoll gewesen, dass der Mann noch vor der Scheidung gestorben wäre. Im Ergebnis hafteten die Erben also trotz des nicht anwendbaren § 1586b BGB für den Unterhalt.
Hinweis: Wer seine Erben nicht mit Unterhaltsansprüchen nach seinem Tod belasten will, muss mit dem Unterhaltsberechtigten eine explizite vertragliche Lösung finden, die ihn absichert, zum Beispiel eine Lebensversicherung.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 20.03.2023 - 6 U 36/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
"Wir lassen uns erstmal scheiden und können danach immer noch die finanziellen Dinge klären" - so häufig diese entspannt wirkende Vereinbarung auch getroffen wird, ist sie fast nie eine gute Idee. Auch nicht in diesem Fall, der vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) landete.
Mann und Frau hatten ein gemeinsames Haus. Die Frau zog aus. Der Mann blieb nach ihrem Auszug im Haus wohnen. Die Ehe wurde schließlich zwei Jahre später geschieden. Dann begehrte die Frau "Nutzungsentschädigung" - also die halbe Miete für das Haus, rückwirkend seit Trennung und für die Zukunft.
Das jedoch funktioniert aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht. Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung bis zur Scheidung ist eine sogenannte "Ehewohnungssache", die nach anderen Verfahrensgrundsätzen beurteilt wird als der Anspruch aus dem Miteigentum nach der Scheidung. Weil das der Erstinstanz nicht aufgefallen war, trennte das OLG nun die beiden Verfahren. Das führte dazu, dass der Mann in dem Verfahren für die Zeit ab Scheidung eine Frist verpasst hatte und dieser Teil der amtsgerichtlichen Entscheidung rechtskräftig wurde.
Hinweis: Die Vorschriften über die Verfahren vor dem Familiengericht lehnen sich teilweise an die Zivilprozessordnung an - teilweise gibt es eigene Verfahrensvorschriften. Es muss daher immer geprüft werden, ob es sich um eine "Familiensache der freiwilligen Gerichtsbarkeit" oder um eine "Familienstreitsache" handelt. Werden wegen der Nichtbeachtung Fristen versäumt, haftet der Anwalt auch dann, wenn die Erstinstanz den Fehler auch nicht bemerkt hat.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 28.06.2023 - 5 UF 78/23
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Anmietung während Pandemie: Wer als Gewerbemieter die Risiken kannte, darf nicht auf Mietminderung hoffen
- Mehrkosten durch Baustopp: WEG hat Schadensersatzanspruch nach erwirkter Aussetzung eines Beschlusses
- Schäden beim Umzug: Empfindliche Haftpflichtkosten bei Wiederherstellung beschädigter Wandverkleidung
- Trotz eigenständigen Vertrags: Mit der Wohnung angemietete Garage kann nicht getrennt gekündigt werden
- Zweifamilienhaus mit Vermieter: Kündigungsprivileg greift nicht bei geringem Nutzungsumfang als Ferienwohnung
Immer wieder müssen sich Gerichte mit der Frage beschäftigen, ob im Gewerberaummietrecht eine Absenkung der Miete während der Corona-Zeit rechtmäßig gewesen ist. Dieses Mal war es am Oberlandesgericht Koblenz (OLG), die Antwort darauf zu finden, ob ein Gewerbemieter Anspruch auf Mietminderung hat, obwohl ihm bei Anmietung die geschäftlichen Risiken der Pandemie bereits hätten bekannt sein müssen.
Es ging um einen Gewerberaummietvertrag, der am 15.09.2020 abgeschlossen worden war. Für die Monate Februar 2021 bis Juli 2021 und August 2022 bis November 2022 zahlte die Mieterin keine Miete. Schließlich klagten die Vermieter die ausstehenden Mietzahlungen von über 8.000 EUR ein. Die Mieterin war jedoch der Ansicht, dass sie die Miete nicht habe zahlen müssen, da das Mietobjekt aufgrund staatlicher Maßnahmen infolge der Corona-Pandemie geschlossen war. Damit lag sie allerdings nicht richtig.
Zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses war nicht nur das Risiko von Betriebsschließungen infolge der Pandemie bereits allgemeinhin bekannt, sondern laut OLG auch die potentiellen Folgen der eingreifenden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen. Zudem hätte die Mieterin für eine Reduzierung der Miete infolge staatlicher Corona-Maßnahmen die durch die Maßnahmen bedingte fehlende oder stark eingeschränkte Verwendbarkeit der Mietsache, einschließlich maßnahmebedingter Umsatzausfälle, darlegen und beweisen müssen. Das hatte sie jedoch auch nicht getan.
Hinweis: Wer also während der Pandemie Gewerberäume angemietet hatte, kann sich im Regelfall nicht darauf berufen, dass die Miete wegen der Pandemie und der daraus folgenden Einkommenseinbußen angepasst werden muss.
Quelle: OLG Koblenz, Urt. v. 08.05.2023 - 15 U 1954/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Mieter, die besonders in unsicheren Zeiten von einer eigenen Immobilie träumen, führt dieser Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) deutlich vor Augen, dass Eigentum verpflichtet - und im Fall einer Eigentumswohnung in einem Mehrparteienhaus auch der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) gegenüber. Zwar gibt es auch hier Rechte, aber eben auch entsprechende Pflichten, die so manches Mal unerwartbar teuer werden können.
Eine WEG beschloss, Balkone sanieren zu lassen. Eine Wohnungseigentümerin erwirkte jedoch mit einer einstweiligen Verfügung einen Baustopp. Einen Monat später hob das Gericht diese einstweilige Verfügung auf, und die Berufung der Wohnungseigentümerin gegen diese Entscheidung wurde abgewiesen. Nach Durchführung der Arbeiten wurden dann Mehrkosten von über 11.000 EUR in Rechnung gestellt, die durch den Baustopp verursacht worden waren. Die WEG zahlte diese Kosten und forderte dann die Wohnungseigentümerin zur Erstattung auf. Als diese nicht zahlte, wurde erfolgreich geklagt.
Hat ein Wohnungseigentümer im Wege der einstweiligen Verfügung die vorübergehende Aussetzung eines Beschlusses erwirkt, können die übrigen Wohnungseigentümer laut BGH den durch die Beschlussaussetzung entstandenen Schaden ersetzt verlangen.
Hinweis: Beschlüsse der WEG können natürlich angefochten werden. Doch Vorsicht: Stellt sich später heraus, dass die Anfechtung zu Unrecht erfolgte und ein Schaden entstanden ist, haftet der anfechtende Miteigentümer.
Quelle: BGH, Urt. v. 21.04.2023 - V ZR 86/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Wie gut man fährt, wenn man eine Haftplichtversicherung hat, zeigt der folgende Fall, der vor dem Landgericht Koblenz (LG) landete. Eher schlecht gefahren ist hier der Schädiger mit dem Fahrstuhl - im Rahmen seines Umzugs mit so einigen sperrigen Einrichtungsgegenständen. Denn die zwei Kratzer, die er hinterließ, waren "klein, aber oho".
Der Mieter nutzte beim Auszug den Personenaufzug (Baujahr 2015), der von innen mit Edelstahl ausgekleidet war, und verursachte an der Rückwand und der linken Seitenwand des Aufzugs jeweils einen Kratzer. Der Vermieter behauptete nun, zur Wiederherstellung des Aufzugs sei ein vollständiger Austausch der Seiten- und Rückwand erforderlich, was insgesamt einen Reparaturaufwand in Höhe von 13.550 EUR verursache. Die Haftpflichtversicherung des Mieters zahlte 5.000 EUR. Der Vermieter klagte den Rest ein.
Und das LG konnte nicht anders, als dem geschädigten Vermieter Recht zu geben. Denn nach der Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens stand fest, dass eine Schadensbeseitigung aus technischen Gründen tatsächlich nur durch den Austausch der beschädigten Edelstahlverkleidungen und durch den Ersatz gleichwertiger Originalteile möglich ist. Auch waren die erforderlichen Kosten nicht unverhältnismäßig. Zwar handelte es sich nur um eine "optische" Beeinträchtigung, die aber nach den Ausführungen des Sachverständigen deutlich erkennbar war. Auch scheitert ein Abzug "neu für alt". Mit der Wiederherstellung der beschädigten Wandverkleidungen geht weder eine Verbesserung des Aufzugs noch eine Verlängerung seiner Lebensdauer einher.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie korrekt ist.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 24.04.2023 - 4 O 98/21
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Wer Wohnraum anmietet, freut sich, wenn zusätzlich eine Garage zur Verfügung steht. Dass diese Zusatzkosten verursacht, versteht sich von selbst. Aber dafür einen eigenen Vertrag abzuschließen, mutet ungewöhnlich an. Darf diese Garage denn auch gekündigt werden, wenn die Nutzung der Garage in einem eigenständigen Vertrag neben dem Wohnungsmietvertrag geregelt wurde, wenn man weiterhin im Mietobjekt wohnen bleibt? Diese Frage wurde kürzlich vom Amtsgericht Hanau (AG) beantwortet.
Eine Vermieterin schloss mit Mietern einen Wohnraummietvertrag und zudem einen zweiten Mietvertrag über eine Garage, die sich auf demselben Grundstück befand. Dann kündigte die Vermieterin den Garagenmietvertrag und forderte die Mieter zur entsprechenden Rückgabe auf. Als sich die Mieter weigerten, klagte die Vermieterin auf Herausgabe der Garage - mit wenig Erfolg.
Eine getrennte Kündigung nur der Garage ohne Kündigung der Wohnung ist nach Ansicht des AG nicht möglich. Auf den Umstand, dass zwei Vertragsurkunden verwendet wurden, kam es nicht an. Es ist ersichtlich, dass die Mieter sowohl die Wohnung als auch die Garage gemeinsam mieten wollten. Es wäre auch praxisfern, anzunehmen, dass ein Mieter die mit der Wohnung zusammen angemietete Garage nicht so lange nutzen will, wie er in der Wohnung wohnt. Maßgeblich ist zudem, dass der Bundesgerichtshof eine untrennbare Verbindung der Mietverträge sieht, sobald sich Wohnung und Garage - wie hier - auf demselben Grundstück befinden. Daher konnte die Vermieterin die Garage nicht separat kündigen.
Hinweis: Vermieter sollten sich dieses Urteil genau anschauen. Im Regelfall bringt der Abschluss getrennter Verträge gar nichts, da diese nicht einzeln kündbar sind.
Quelle: AG Hanau, Urt. v. 05.05.2023 - 32 C 172/22 (12)
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Bewohnt der Vermieter selbst eine Wohnung im Mietshaus, kann es nicht nur nachbarschaftlich schnell(er) zu Ärger kommen. Sind in dem Haus lediglich zwei Wohnungen, von denen eine vom Vermieter selbst bewohnt wird, kann der Vermieter gemäß § 573a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch kündigen, ohne einen Kündigungsgrund nachweisen zu müssen. Wann dieser Paragraph greift, war der Kern des Falls vor dem Landgericht Traunstein (LG).
In diesem Fall ging es zwar um ein solches Haus - hier allerdings hatte der Vermieter seinen Erstwohnsitz in einer anderen Stadt und nutzte seine Wohnung im betreffenden Haus als Ferienwohnung. Die andere Wohnung war vermietet. Deren Mietern gegenüber sprach er eine Kündigung aus unter Berufung auf den entsprechenden Paragraphen im BGB - also ohne dass er eine besondere Begründung für die Kündigung nachweisen musste. Schließlich legte er eine Räumungsklage ein, und die Sache landete vor dem LG.
Das Gericht befand die Nutzung als Ferienwohnung in nur geringem Umfang - nur alle zwei Monate für ein verlängertes Wochenende - für die erleichterte Kündigungsmöglichkeit nach § 573a BGB als unzureichend. Der zeitliche Umfang war derart gering, dass eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit von aus dem engen Zusammenleben herrührenden Spannungen nicht besteht. Es gab keine Kündigungsprivilegierung nach § 573a BGB bei nur gelegentlicher Nutzung als Ferienwohnung. Die Kündigung war unwirksam.
Hinweis: Viele Mieter - aber auch Vermieter - wissen nicht, dass Mieter in einem vom Vermieter selbstbewohnten Zweifamilienhaus keinen Kündigungsschutz haben. Das sollte ab sofort beachtet werden. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Entscheidung richtig ist.
Quelle: LG Traunstein, Urt. v. 03.05.2023 - 3 S 2451/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Zum Thema Sonstiges
- "Klimaneutrale" Lebensmittel: Bei Werbung ohne weitergehende Information droht Unterlassungsklage
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- Kosten der Schadensabwendung: Mahnung entbehrlich, wenn Schuldner vor Fälligkeit erklärt, nicht rechtzeitig leisten zu können
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Wer heutzutage verantwortungsvoll naschen und schlemmen möchte, sollte allgemein auf mehr achten als nur auf seine eigene schlanke gute Linie. Klimaneutralität ist eines der Schlagworte, nach denen sich manche Verbraucher in ihrem Konsumverhalten richten - ein schlagkräftiges Verkaufsargument also für einige Unternehmen. Zu Recht? Das musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) bei gleich zwei Firmen entscheiden.
Bei den beiden Herstellern handelte es sich um einen Fruchtgummihersteller und einen Hersteller von Konfitüren. Beide warben mit dem Begriff "klimaneutral" und wurden daher von einer Wettbewerbszentrale jeweils auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Die Richter setzten zunächst einmal voraus, dass der durchschnittliche Verbraucher den Begriff "klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen eines Produkts verstehe. Dabei sei ihm bekannt, dass diese Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden könne. Und genau auf eine solche Information käme es an, um die Behauptung zu belegen. Und hier unterschieden sich die beiden Fälle.
Im Falle der Konfitürenherstellerin (I-20 U 72/22) enthielt weder ihre Werbeanzeige in einer Zeitschrift für Lebensmittel noch die Produktverpackung einen Hinweis darauf, wie es zur behaupteten Klimaneutralität kommt. Sie wurde daher zur Unterlassung verurteilt.
Dagegen hatte der Fruchtgummihersteller (I-20 U 152/22) die erforderlichen Informationen in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt. Der Leser der Werbeanzeige in der Zeitschrift für Lebensmittel könne über den darin enthaltenen QR-Code die Website von "ClimatePartner.com" aufsuchen, auf der die erforderlichen Angaben entnommen werden können. Dies war nach Ansicht des OLG in diesem Fall zur Information der Verbraucher ausreichend.
Hinweis: Ein Link oder QR-Code mit weiterführenden Informationen reicht also aus, um Produkte als "klimaneutral" bezeichnen zu können. Ob das, was dann dort steht, allerdings richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.07.2023 - I-20 U 72/22, I-20 U 152/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit dem folgenden Urteil die Rechte von Reisenden mit Handikap enorm gestärkt. Denn hier scheint es, dass ein Mensch durch die Tatsache, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, eher wie sperriges Gut behandelt wurde. Er musste zuletzt aussteigen und verpasste seinen Anschlussflug. Ob er auf Ausgleich hoffen durfte? Der BGH hat diese Frage beantwortet.
Über eine Internetplattform wurden ein Flug für insgesamt fünf Personen bei einer Airline von Frankfurt am Main nach Budapest und von Budapest nach Sankt Petersburg gebucht. Einer der Reisenden war auf einen Rollstuhl angewiesen und durfte in Budapest das Flugzeug erst nach allen anderen Passagieren verlassen. Er und seine Hilfsperson verpassten deshalb den zweiten Flug, während die anderen Passagiere den Flug erreichten. Schließlich bemühten sie sich um einen Ersatzflug und erreichten Sankt Petersburg knapp zehn Stunden später. Nun wollten sie die Kosten der Ersatzbeförderung und eine Ausgleichszahlung erhalten. Dabei ging es pro Passagier um jeweils 627,27 EUR.
Der BGH gab den Klägern Recht. Die Airline war für die große Ankunftsverspätung verantwortlich, wenn sie einem Fluggast unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 Fluggastrechteverordnung die Möglichkeit genommen hatte, den direkten Anschlussflug rechtzeitig zu erreichen. Auf die Frage, ob ein spezieller Rollstuhlservice für den Transfer gebucht und verspätet erbracht wurde, kommt es bei einem Verstoß des Unternehmens nicht an. Die Airline war verpflichtet gewesen, die beiden Reisenden nach Ankunft in Budapest vorrangig aussteigen zu lassen.
Hinweis: Der Fall ist an sich schon unglaublich. Wir diskutieren über Integration - und eine Fluggesellschaft schafft es nicht, dass ein Rollstuhlfahrer mit seiner Begleitung den Anschlussflug erreichen kann? Wir sollten uns alle mehr an der Integration beteiligen, denn eine Behinderung kann jeden treffen.
Quelle: BGH, Urt. v. 20.06.2023 - X ZR 84/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Ein Grundsatz besagt: Wer seine Schulden nicht zahlt, muss zunächst abgemahnt werden, bevor er rechtliche Schritte zu erwarten hat. Wie es aber mit Grundsätzen so ist: Es gibt Ausnahmen - auch in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
Produktionsteile für die Montage von Fahrzeugcockpits sollten nach Mexiko verschifft werden. Dann musste allerdings mitgeteilt werden, dass die Teile wegen eines Maschinenschadens erst später versendet werden konnten. Ein vorheriges Verschiffen sei nicht möglich. Daraufhin wurde eine andere Spedition beauftragt, die Teile per Luftfracht zu befördern. Es entstanden Kosten in Höhe von knapp 13.000 USD. Diese Summe wurde nun eingefordert. Die Schifffahrtspedition wollte die Summe nicht zahlen und meinte, sie befände sich nicht in Verzug, da keine Mahnung vorgelegen hätte.
Das sah der BGH allerdings anders. Eine Mahnung sei dann entbehrlich, wenn der Schuldner noch vor Fälligkeit erkläre, dass er nicht rechtzeitig leisten könne. In einem solchen Fall würde es eine reine Förmelei darstellen, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers abhängig zu machen. Das Gericht gab der Klage auf Schadensersatz daher statt.
Hinweis: Trotz dieses Urteils sind viele Parteien - gerade im Kaufrecht(!) - gut beraten, eine Mahnung abzusenden, bevor sie weitere Maßnahmen ergreifen. Denn in vielen Fällen ist eine Mahnung erforderlich, bevor der Schuldner in Verzug gerät.
Quelle: BGH, Urt. v. 20.04.2023 - I ZR 140/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Die Abgrenzung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Meinungsäußerung ist presserechtlich immer wieder Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen - auch in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Eine sogenannte "Profilerin" trat als Rednerin bei Veranstaltungen auf. Im Zuge einer Teilnahme der Frau als Expertin bei einer Fernsehsendung berichtete eine überregionale Tageszeitung, dass die Frau "mit Anhängern der Querdenkerbewegung" zusammenarbeite. Unstreitig war, dass sie tatsächlich mit vier der dort genannten Personen zusammengearbeitet hatte. Auf einer Verlagswebsite der Profilerin wurden diese Personen nämlich als "handverlesene Autoren" aufgeführt, die auch für den entsprechenden Verlag arbeiten würden. Die Profilerin verlangte von der Tageszeitung dennoch die Unterlassung der Berichterstattung.
Damit kam sie beim OLG nicht weiter. Bei der angegriffenen Äußerung handelte es sich um ein Werturteil - und damit um eine Meinungsäußerung. Der Begriff der Querdenkerbewegung ist unscharf und skizziere "eine äußerst heterogene, nicht klar zu umreißende Initiative, die die Pandemie bzw. das Coronavirus leugnet, Schutzmaßnahmen des Staates zur Bekämpfung und Eindämmung der Coronapandemie ablehnt und dabei auch Verschwörungserzählungen verbreitet", so das Gericht. Die Zeitung hatte aus Äußerungen und Kontakten zu vier im Artikel genannten Personen darauf geschlossen, dass diese Personen der Bewegung zuzuordnen sind, und für diese Einschätzung auch tatsächliche Anhaltspunkte vorgebracht.
Hinweis: Wer gegen Äußerungen in der Presse vorgehen möchte, sollte anwaltlich gut beraten sein.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 28.06.2023 - 16 U 74/22
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(aus: Ausgabe 09/2023)
An Bord eines Flugzeugs ereignete sich ein Unfall. Dieser für sich war jedoch nicht direkt Dreh- und Angelpunkt, warum der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Rate gezogen werden musste. Vielmehr ging es um die Frage, ob die Folgen einer daraufhin erfolgten schädlichen Erstversorgung dem EU-Übereinkommen von Montreal oder aber den landesspezifischen (hier österreichischen) Gesetzen unterliegen. Warum das? Weil es um die Frist ging, innerhalb derer eine Klage wegen Schadensersatzes und eventueller Folgeschäden einzureichen ist.
Während eines Flugs mit einer österreichischen Airline kippte eine Kanne mit heißem Kaffee von einem Servierwagen auf einen Passagier, der sich dabei Verbrühungen zuzog. Er erhielt an Bord des Flugzeugs zwar eine medizinische Erstversorgung, diese war allerdings so unzureichend, dass sie die Verbrühungen noch verschlimmerte. Schließlich klagte der Passagier mehr als zwei Jahre später vor den österreichischen Gerichten auf Schadensersatz und Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden. Die Airline meinte hingegen, dass die Klage zu spät eingereicht wurde. Denn nach dem EU-Übereinkommen von Montreal hätte die Klage binnen zwei Jahren eingereicht werden müssen. Der Geschädigte sah das anders, da die medizinische Erstversorgung an Bord nicht unter den Begriff "Unfall" im Sinne des EU-Übereinkommens falle. Deshalb sei das EU-Recht auf seine Klage auch nicht anzuwenden, da diese innerhalb des in Österreich vorgesehenen dreijährigen Zeitraums eingereicht worden sei. Das österreichische Gericht hatte den EuGH daraufhin um Rat gefragt.
Der EuGH meinte nun, dass sich die nach dem Übereinkommen von Montreal vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung von Fluggesellschaften auch auf eine unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord erstrecke. Damit ist vorrangig EU-Recht anzuwenden - und die Klage wurde somit verspätet eingereicht.
Hinweis: Airlines müssen dafür sorgen, dass verletzte Passagiere eine ausreichende medizinische Erstversorgung an Bord erhalten. Ist diese Versorgung mangelhaft, muss die diesbezügliche Klage innerhalb von zwei Jahren eingereicht werden.
Quelle: EuGH, Urt. v. 06.07.2023 - C-510/21
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(aus: Ausgabe 09/2023)