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Zum Thema Arbeitsrecht
- Bewerbung einer nichtbinären Person: Weibliche Gleichstellungsbeauftragte als Ansprechpartnerin nach sexuellen Belästigungen
- EuGH stärkt Arbeitnehmerrecht: Tägliche Ruhezeit ist kein Teil der wöchentlichen Ruhezeit - auch nicht in direkter Abfolge
- Kein Berechnungsdurchgriff: Gewinnabführungsvertrag verhindert Betriebsrentenanpassung
- Unfallversicherungsschutz ausgeweitet: Beim "Luftschnappen" vom Gabelstapler angefahren zu werden, gilt als Betriebsunfall
- Verantwortungsbereich des Arbeitgebers: Innerhalb des Betriebsgebäudes gilt Sturz beim Kaffeeholen als Arbeitsunfall
Die Geschlechterzugehörigkeit in Deutschland wird auch bei Bewerbungsverfahren in der Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Und das zu Recht, denn schließlich ist die Benachteiligung des Geschlechts wegen auch bei der Besetzung einer Stelle nach wie vor Realtität. Dennoch gibt es Fälle, in denen eine geschlechtsunabhängige Berücksichtigung der Bewerbungen schlicht und ergreifend (noch) nicht möglich ist. Diese Fälle von jenen zu unterscheiden, die tatsächlich gegen das Gleichbehandlungsgesetz verstoßen, bleibt wohl in den Händen der Gerichte - in diesem Fall vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG).
Eine Hochschule hatte eine Stelle als Gleichstellungsbeauftragte ausgeschrieben. Das Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG) sieht für die Besetzung des Amts der Gleichstellungsbeauftragten eine Frau vor. Ein Bewerber, der sich keinem Geschlecht zugehörig ansah, bewarb sich hierauf und beschrieb sich in seiner Bewerbung als nichtbinäre Person. Der Bewerber wurde von der Hochschule für die Stellenbesetzung nicht berücksichtigt. Die Hochschule sah sich durch § 42 NHG schon formell an der Einstellung einer nichtweiblichen Person gehindert. Der Bewerber wollte daraufhin eine Entschädigung erhalten und klagte.
Die Entschädigungsklage wurde vom LAG jedoch abgewiesen. Zwar kann ein Mann grundsätzlich in gleicher Weise wie eine Frau an der Gleichberechtigung von Männern und Frauen mitwirken und Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entwickeln. Dies gilt jedoch nicht, wenn für einen Teil der Tätigkeiten das weibliche Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung ist. Das ist etwa der Fall, wenn Gleichstellungsbeauftragte insbesondere als Ansprechpartnerin bei sexuellen Belästigungen dienen, deren Hauptbetroffene nach wie vor Frauen seien. Und diese Anforderung war auch hier gegeben.
Hinweis: Dieser Fall hat sich zwar im öffentlichen Dienst zugetragen - er zeigt jedoch, auf was sich Arbeitgeber einzustellen haben. Eine nichtbinäre Person darf bei der Stellenbesetzung einer Gleichstellungsbeauftragten ungleich behandelt werden.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 24.02.2023 - 16 Sa 671/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Ein Ungar wollte sich mit der Rechenweise seiner Arbeitgeberin nicht zufriedengeben und klagte seinen Anspruch auf tägliche Ruhezeiten ein. Und da sich die ungarischen Richter auch nicht sicher waren, ob die tägliche mit der wöchentlichen Ruhezeit aufgerechnet werden darf, sobald beide zeitlich aufeinanderfolgen, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) für Klarheit sorgen.
Ein Lokführer, auf dessen Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag mit einer wöchentlichen Ruhezeit Anwendung fand, klagte vor einem ungarischen Gerichtshof gegen die Entscheidung seiner Arbeitgeberin, ihm keine tägliche Ruhezeit von mindestens elf zusammenhängenden Stunden zu gewähren. Die Arbeitgeberin verweigerte ihm diese Ruhezeit, sobald diese einer wöchentlichen Ruhezeit oder einer Urlaubszeit vorausging oder nachfolgte. Der ungarische Gerichtshof wollte nun vom EuGH wissen, ob nach der Richtlinie eine mit einer wöchentlichen Ruhezeit zusammenhängend gewährte tägliche Ruhezeit Teil der wöchentlichen Ruhezeit ist.
In seinem Urteil stellte der EuGH fest, dass die tägliche Ruhezeit und die wöchentliche Ruhezeit zwei autonome Rechte sind, mit denen unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Die tägliche Ruhezeit ermöglicht es dem Arbeitnehmer, sich für eine bestimmte Anzahl von Stunden aus seiner Arbeitsumgebung zurückzuziehen. Die wöchentliche Ruhezeit ermöglicht es dem Arbeitnehmer, sich pro Siebentageszeitraum auszuruhen. Folglich ist den Arbeitnehmern die tatsächliche Inanspruchnahme beider Rechte zu gewährleisten.
Hinweis: Die tägliche Ruhezeit muss also unabhängig von der Dauer der wöchentlichen Ruhezeit gewährt werden. Die tägliche Ruhezeit kommt zur wöchentlichen Ruhezeit hinzu, auch wenn sie dieser unmittelbar vorausgeht. Dies ist auch dann der Fall, wenn die nationalen Rechtsvorschriften den Arbeitnehmern eine wöchentliche Ruhezeit gewähren, die länger ist als unionsrechtlich vorgegeben.
Quelle: EuGH, Urt. v. 02.03.2023 - C-477/21
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Dass geltendes Recht nicht immer mit einem emotionalen "richtig!" gleichzusetzen ist, gehört zu den bitteren Pillen, die sowohl Kläger als auch Juristen manches Mal schlucken müssen. Besonders bei Arbeitnehmerrechten kann das gallig aufstoßen. So wie im folgenden Fall, in dem das Bundessozialgericht (BSG) einem Arbeitnehmer gegenüber eingestehen musste, dass sein Arbeitgeber seine Betriebsrentenanpassung clever verhindert habe.
In einem Konzern schloss ein Unternehmen mit dem herrschenden Unternehmen einen Gewinnabführungsvertrag ab. Danach wurden der erwirtschaftete Jahresüberschuss und die Jahresfehlbeträge von dem herrschenden Unternehmen übernommen. Nun verlangte ein Arbeitnehmer die Anpassung seiner Betriebsrente, da er der Auffassung war, dass die Rente entsprechend der Entwicklung des Verbraucherpreisindex anzupassen sei. Schließlich standen keine wirtschaftlichen Gründe einer Anpassung seiner Betriebsrente entgegen - aus den Bilanzen der letzten Jahre ergaben sich ausreichende Eigenkapitalverzinsungen und eine insgesamt positive Tendenz. Erst nach dem Abschluss des Gewinnabführungsvertrags sei eine negative Tendenz ersichtlich. Deshalb müsse nun ein sogenannter "Berechnungsdurchgriff" auf die wirtschaftliche Lage der herrschenden Gesellschaft erfolgen.
Das BSG sah das alles jedoch anders. Der Arbeitnehmer hatte keinen Anspruch auf Anpassung seiner laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz). Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers stand der Anpassung der Betriebsrente entgegen - und die Voraussetzungen für einen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage der beherrschenden Gesellschaft lagen nicht vor.
Hinweis: Dieser Fall dürfte für alle Unternehmen von Interesse sein, die eine betriebliche - von der Unternehmensleistung abhängige - Altersvorsorge gewähren.
Quelle: BAG, Urt. v. 15.11.2022 - 3 AZR 505/21
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat mit seinem Urteil im folgenden Fall kürzlich den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz ausgeweitet. Zwar muss hier noch das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden - aber es bleibt zu mutmaßen, dass eine Kollision mit einem Gabelstapler auch in Pausenzeiten als spezifische betriebliche Gefahr zu klassifizieren ist.
Ein Arbeitnehmer hielt sich in einem Pausen- und Raucherbereich auf dem Betriebsgelände seines Unternehmens auf - er wollte frische Luft schnappen. Doch was auf den ersten Blick gesundheitsfördernd anmutet, stellte sich als gegenteilig heraus: Ihn fuhr nämlich ein Gabelstapler an. Der Luftschnapper erlitt folglich eine Unterarmfraktur und eine Kniegelenksdistorsion. Den Unfall als Arbeitsunfall anerkennen zu lassen, lehnte die zuständige Berufsgenossenschaft jedoch ab. Sie meinte, der Arbeitnehmer habe zur Zeit des Unfalls lediglich private Dinge erledigt.
Es lag für die Richter des LSG jedoch eine spezifische betriebliche Gefahr und damit ein Betriebsunfall vor. Schließlich sei die erhöhte Gefährlichkeit von Gabelstaplern nachgewiesen und Gegenstand besonderer Unfallverhütungsvorschriften. Ein Beschäftigter darf darauf vertrauen, während seiner Pausen auch in einem vom Arbeitgeber ausgewiesenen Bereich keinen gegenüber dem allgemeinen Leben erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein. Für das LSG lag hier daher auch eine spezifische betriebsbezogene Gefahr vor, auch wenn der Unfall nicht in unmittelbarer Nähe des konkreten Arbeitsplatzes stattgefunden hat.
Hinweis: Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz besteht also auch, wenn ein Arbeitnehmer beim "Luftschnappen" in einem ausgewiesenen Pausenbereich von einem Gabelstapler angefahren wird. Allerdings wurde die Revision zum BSG zugelassen. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Entscheidung korrekt ist.
Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 27.02.2023 - L 1 U 2032/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Da Kaffee für viele Arbeitnehmer schier unverzichtbar ist, um die ihnen anvertraute Arbeit zu schaffen, erübrigt sich doch eigentlich auch die Frage, ob ein Unfall auf dem Weg zum betrieblichen Kaffeeautomaten versichert sei. Oder? Sicherheitshalber lassen wir das Landessozialgericht Hessen (LSG) auf diese Frage antworten.
Eine Verwaltungsangestellte eines Finanzamts wollte sich im dortigen Sozialraum am Kaffeeautomaten einen Kaffee holen. Doch sie rutschte auf dem Weg auf nassem Boden aus und erlitt einen Lendenwirbelbruch. Sie beantragte nun, ihr Missgeschick als Arbeitsunfall anzuerkennen, da sie schließlich auf dem Weg zum Getränkeautomaten während ihrer Arbeitszeit unfallversichert sei. Die Unfallkasse Hessen lehnte den Antrag ab und meinte, der Versicherungsschutz ende regelmäßig mit dem Durchschreiten der Kantinentür. Und deshalb klagte die Verwaltungsangestellte.
Das LSG erkannte den Sturz als Arbeitsunfall an. Das Zurücklegen eines Wegs, um sich einen Kaffee an einem im Betriebsgebäude aufgestellten Automaten zu holen, hat im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden. Ein Beschäftigter sei auf dem Weg, um sich Nahrungsmittel zum Verzehr am Arbeitsplatz zu besorgen, grundsätzlich gesetzlich unfallversichert. Der Unfallversicherungsschutz auf dem Weg zum Getränkeautomaten ende daher auch nicht an der Tür des Sozialraums, der sich innerhalb des Betriebsgebäudes befindet. Dieser Raum gehört auch als Pausen- oder Freizeitraum eindeutig in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers.
Hinweis: Ein Sturz einer Angestellten auf dem Weg zu einem Getränkeautomaten im Betriebsgebäude ist demnach als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Möglichkeit der Revision zum Bundessozialgericht wurde zugelassen. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist.
Quelle: LSG Hessen, Urt. v. 07.02.2023 - L 3 U 202/21
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Zum Thema Familienrecht
- 30 Tage Haft: OLG Celle greift zur Durchsetzung einer Kindesherausgabe hart durch
- Eilbetreuung verhindert: Notvertretungsrecht der Ehegattin scheitert nicht an Sprachbarrieren
- Schadensersatz wegen Darlehenszinsen: Eheliche Wohlverhaltenspflichten enden nicht mit der Scheidung
- Syrische "Handschuhehe": Erteilte Vollmacht muss sich auf konkrete Braut beziehen
- Unterhaltsbefreiter Samenspender: Mutter muss 30.000 EUR Unterhaltsvorschuss zurückerstatten
Sorgerechtsstreitigkeiten sind immer eine ernste Sache. Im folgenden Fall jedoch sah sich selbst das zuständige Oberlandesgericht Celle (OLG) - bei dem man davon ausgehen kann, dass es schon so einige harte Fälle erlebt hat - gezwungen, statt eines Ordnungsgelds eine Haftstrafe gegen eine Mutter zu verhängen. Denn diese hatte eine besondere Widerspenstigkeit gegenüber der getroffenen Sorgerechtsentscheidung an den Tag gelegt.
Seit Jahren stritten Mutter und Vater über das Sorgerecht. Nachdem dies 2021 endgültig dem Vater übertragen worden war, verweigerte die Mutter die Kindesherausgabe. Das Familiengericht gab dem Vater und dem Jugendamt alle rechtlichen Möglichkeiten an die Hand, die Herausgabe der neunjährigen Tochter durchzusetzen, es wurde sogar die Wohnung der Mutter vom Schlüsseldienst geöffnet und die Polizei hinzugezogen. Die Mutter hatte - dies voraussehend - rund 15 Zeugen für diesen Termin organisiert, die alles aufzeichneten und zusammen mit ihr das Kind darin bestärkten, sich gegen die Mitnahme zu wehren. Die Polizisten beschrieben die Situation als gestellt, manipulativ und darauf angelegt, dass es zu Handgreiflichkeiten komme. Eine unbeeinflusste Unterhaltung mit dem Kind sei den Polizisten oder Jugendamtmitarbeitern nicht möglich gewesen. Dieser Inobhutnahmeversuch wurde abgebrochen. Anschließend hielten sich Mutter und Tochter monatelang bei verschiedenen Freunden und Verwandten auf, um nicht greifbar zu sein; die Tochter besuchte die Schule nicht. Zudem musste die Mutter beim Gerichtsvollzieher erscheinen, um Angaben zum Aufenthalt der Tochter zu machen - allerdings war auch das unergiebig.
Im Ergebnis schaffte es die Mutter anderthalb Jahre lang, das Kind abzuschotten und dessen Herausgabe zu verweigern. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Kindesentziehung, und das OLG hatte nun über Ordnungsmittel gegen die Mutter zu entscheiden - in der Regel ein Ordnungsgeld in Höhe von einigen hundert Euro. Hier aber griff das OLG direkt zu einem einschneidenderen Mittel: Es ordnete 30 Tage Haft für die Mutter an. Deren Hartnäckigkeit lasse vermuten, dass weder ein Geldbetrag noch eine kurze Ordnungshaft von wenigen Tagen den Zweck erreichen könne, den Widerstand gegen die Herausgabe aufzugeben. Die Mutter konnte sich nicht damit rechtfertigen, dass sie ärztliche Bescheinigungen einreichte, nach denen eine Herausgabe dem Kindeswohl widerspreche. Denn da sie kein Sorgerecht hatte, hätte sie das Kind gar nicht bei Ärzten untersuchen und behandeln lassen dürfen.
Hinweis: Gegen den Arzt, der wusste, dass die Mutter kein Sorgerecht hatte und der das Kind trotzdem behandelte, wurde berufs- und strafrechtlich vorgegangen.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 31.01.2023 - 10 WF 135/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Es gehörte zu den typischen Irrtümern im Familienrecht, dass sich Ehegatten in einem medizinischen Notfall gegenseitig vertreten dürften und auch über Auskunfts- und Entscheidungsrechte verfügten. Erst seit Januar 2023 hat der Gesetzgeber ein solches "Notvertretungsrecht" von Ehegatten ins Gesetz aufgenommen. Dass in der Praxis die Unsicherheit bei der Anwendung besonders beim ärztlichen Personal noch groß ist, zeigt der folgende Fall vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main (AG).
Hier hatte das Universitätsklinikum eine Eilbetreuung bei Gericht beantragt, weil für einen Patienten etwas zu entscheiden war, was dieser selbst nicht mehr entscheiden konnte. Aus den weiteren Informationen des Krankenhauses hatte sich ergeben, dass der Betroffene verheiratet ist. Deshalb lehnte das Gericht die Einrichtung der Eilbetreuung mit Hinweis auf § 1358 Bürgerliches Gesetzbuch ab. Doch die Klinik war mit der Ehefrau als Vertreterin nicht einverstanden, da es eine "Sprachbarriere" gab.
Doch auch mit diesem Argument gab es keinen externen Betreuer. Eine wie auch immer geartete Eignungsprüfung des Ehegatten findet vor Eintritt des gesetzlichen Ehegattennotvertretungsrechts nicht statt. Mangelnde Deutschkenntnisse allein rechtfertigen laut AG nicht, dass jemand ungeeignet sei, für sich oder andere medizinische Entscheidungen zu treffen. In solchen Fällen sei ein Dolmetscher die passende Lösung, keine gerichtliche Betreuung. Anders sähe es nur aus, wenn die Ehefrau die Vertretung selbst abgelehnt hätte.
Hinweis: Zur Unterstützung des Kommunikationsprozesses zwischen vertretenden Ehegatten und behandelnden Ärzten haben Bundesärztekammer und Bundesjustizministerium einen entsprechenden Vordruck entwickelt. Da das Notvertretungsrecht nur medizinische Fragen umfasst und sowohl inhaltlich als auch zeitlich befristet ist, gilt weiterhin die Empfehlung zu einer weit umfassenderen Vorsorgevollmacht.
Quelle: AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 15.01.2023 - 43 XVII 178/23
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Wer meint: "Ab sofort sind wir getrennte Leute!", muss sich als Verheirateter darüber im Klaren sein, dass eheliche Tischtücher hierzulande nicht so schnell durchtrennt sind, wie es sich so manche Ehepaare wünschen. So sind mit Nachwirkungen der Ehe juristisch nicht etwa emotionale Wunden, sondern vielmehr die Konsequenzen einst gemeinsam getroffener Entscheidungen gemeint, die sogar bis nach der Scheidung beide Seiten in die Verantwortung ziehen. Eine solche Nachwirkung hat das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) im Folgenden zu bewerten gehabt.
Schon seit 2003 war ein Paar geschieden, aber durch eine gemeinsame Immobilie ließ sich die Verbindung nicht zeitnah auflösen. Seit 2017 stritten sie mittels Teilungsversteigerungsverfahren, während 2019 die Zinsbindungsfrist des Immobiliendarlehens auslief. Die Bank unterbreitete dem Mann ein Angebot zur Anschlussfinanzierung, aber dazu kam es mangels Unterschrift der Frau nicht. Das Darlehen wurde daher weiterhin mit über 6 % "Tageszins" statt mit den von der Hausbank angebotenen 1,2 % verzinst. Der Mann behauptete, es hätten ihm von anderen Banken noch bessere Angebote mit unter 1 % Zinsen vorgelegen. Daher wollte er die Differenz - den Zinsschaden - nun von der Frau erstattet bekommen.
Der hätte auch ihm zugestanden, wenn er seine Behauptungen hätte beweisen können. Schließlich gebe es gewisse "Wohlverhaltenspflichten", die sich aus der ehelichen Beistandspflicht ergeben und nicht mit der Scheidung enden. Zerrüttung und Trennung der Ehe heben solche Verpflichtungen eben nicht auf. Dementsprechend muss ein Ehegatte als Nachwirkung der Ehe auch noch nach deren Scheidung finanzielle Lasten des anderen vermindern, soweit ihm dies ohne Verletzung der eigenen Interessen möglich ist. Und auch aus der Bruchteilsgemeinschaft kann ein Teilhaber vom anderen in Bezug auf das gemeinsam finanzierte Grundstück eine dem Interesse aller Teilhaber dienende und billigem Ermessen entsprechende Verwaltung verlangen. Allerdings muss dann aber auch ein konkretes Angebot nachgewiesen werden, das dem Ehepartner zudem auch nachweislich zugegangen sein muss. Daran fehlte es dem OLG hier.
Hinweis: Bei einer Berechnung der Höhe des Schadens wäre zu berücksichtigen gewesen, dass ein Darlehen ohne Kündigungsfrist/Vorfälligkeitsentschädigung auch Vorteile hat, wenn die Verwertung der Immobilie demnächst ansteht. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es ohnehin nicht anzuraten gewesen, ein Darlehen mit langer Laufzeit des günstigen Zinses wegen abzuschließen.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 10.03.2023 - 13 UF 117/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Nach dem syrischen Eherecht ist eine Stellvertretung bei der Eheschließung möglich. Dem Stellvertreter kann unter bestimmten Umständen sogar die konkrete Auswahl des Ehepartners überlassen werden. Während Ersteres in Deutschland durchaus anerkannt werden kann, ist die zweite Variante - die Wahl des Ehepartners anderen zu überlassen - hierzulande rechtlich nicht akzeptabel. Beide Möglichkeiten in einem konkreten Fall voneinander zu unterscheiden, war Aufgabe des Oberlandesgerichts Nürnberg (OLG).
Während es in Deutschland undenkbar ist, dass eine standesamtliche Hochzeit ohne persönliche Anwesenheit beider Brautleute vollzogen wird, lassen andere Rechtsordnungen dies zu. So war ein Syrer in Syrien verheiratet worden, während er sich in Deutschland befand. Dabei wurde er durch seinen Vater vertreten, dem er drei Jahre zuvor eine entsprechende Vollmacht erteilt hatte. Man nennt dies "Handschuhehe". Als das syrische Paar nun in Deutschland ein Kind bekam, war es beim Standesamt, um die Eheschließung nach deutschem Recht anerkennen zu lassen. Die einst erteilte Vollmacht war jedoch zu allgemein und umfassend formuliert, was die konkrete Bezeichnung bzw. Benennung der Braut anging.
Wäre die Braut in der Vollmacht namentlich genannt gewesen, wäre auch die Eheschließung anerkannt worden. Aus deutscher Sicht inakzeptabel ist es aber, mit jemandem verheiratet zu werden, den womöglich ein anderer per Vollmacht ausgesucht habe. Und dass zwischen der Vollmachterteilung und der Hochzeit in Syrien ganze drei Jahre vergingen, erweckte beim OLG durchaus den Anschein, dass der Vater die Braut ausgesucht habe (was dieser bestritt). Praktische Probleme entstanden bei der Beweisaufnahme zudem dadurch, dass vom syrischen Staat keine Rechtshilfe zu erwarten war, und weil eine Zeugenvernehmung per Videokonferenz mit dem Ausland verfahrensrechtlich unzulässig ist. Der bevollmächtigte Vater konnte daher nicht als Zeuge vernommen werden. Deshalb konnte der Mann seine Behauptung nicht beweisen, dass bereits bei Erteilung der Vollmacht allen klar gewesen sei, um welche konkrete Braut es ginge.
Hinweis: So skurril es manchen erscheinen mag, Handschuhehen sind in Deutschland durchaus anerkennungsfähig. Dafür muss eine hierzu erteilte Vollmacht aber aussagekräftig genug sein, um den Anschein auszuräumen, dass andere als der Ehepartner selbst die Brautwahl übernommen haben könnten.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 07.02.2023 - 11 W 2076/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Kindesunterhalt ist eigentlich unverzichtbar. Diesen können Eltern auch nicht durch eine Vereinbarung umgehen, durch die das Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert. Möglich ist jedoch eine "Freistellung", mit der sich die Mutter zum Beispiel im Fall einer Samenspende verpflichtet, den Unterhalt anstelle des Vaters zu übernehmen. An einer solchen Freistellungsvereinbarung fehlte es im folgenden Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) zwar - doch die Basis, auf der die Samenspende zustande kam, sprach eindeutig für den Spender.
Auf der Internetseite "Spermaspender.de" verabreden sich Frauen, die unkompliziert ein Kind von einem Fremden empfangen wollen, mit spendenbereiten Männern. Grund dafür ist häufig, dass zwei Frauen ein Kind in einer lesbischen Partnerschaft erziehen möchten, ohne dass es einen Vater gibt, der Rechte am Kind geltend machen könnte. Der Zeugungsvorgang geschieht dann ohne Körperkontakt als sogenannte Becherspende. Ein Mann hatte auf diese Weise bereits mehrere Kinder gezeugt und unterhielt zu den Frauen und Kindern zum Teil freundschaftlichen Kontakt. Zu einer der Mütter war die Freundschaft jedoch schnell vorbei, als diese beim Jugendamt Unterhaltsvorschuss beantragte und die Unterhaltvorschusskasse später beim Vater knapp 30.000 EUR vollstreckte.
Der Mann legte dem OLG sein Inserat auf der Spermaspender-Website vor. Dort hatte er geschrieben: "Ich habe keine finanziellen Interessen, nur sollte eurerseits die Bereitschaft bestehen, Unkosten zu übernehmen. Unterhalt möchte ich nicht zahlen. Ich möchte weder vorher noch nachher Kosten tragen müssen." Weil die Zeugung auf dieser Basis zustande gekommen war, gab das OLG dem Mann recht. Er musste keinen Unterhalt zahlen und bekam das bereits Gezahlte zurück.
Hinweis: Die Freistellungsvereinbarung kann der Mann nur gegenüber der Mutter geltend machen, nicht gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse. Deshalb musste er dorthin erstmal einzahlen und anschließend die Mutter auf Erstattung verklagen.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 27.02.2023 - 13 UF 21/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft: Wer zum Eigentümer einer Mietwohnung wird, wird nicht zwingend alleiniger Vermieter
- Beibehaltung der Ausführungsart: Schönheitsreparaturklauseln führen auch im Gewerbemietrecht schnell zur Unwirksamkeit
- Streit in der WEG: Beschlussersetzung ausgeschlossen - Hilfsantrag erfolgreich
- eine Beschlussersetzung, wonach eine abschließbare Außentür ohne Türschwelle eingebaut werden sollte, sowie
- hilfsweise eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung, nach der eine mindestens der ursprünglich vorhandenen Tür entsprechende Tür eingesetzt werden muss.
- Verwalter mit Verlustgeschäft: Unerwartet hohes Arbeitsaufkommen gehört zum unternehmerischen Risiko
- WEG gegen Balkonkraftwerk: Photovoltaikinstallation erfordert Zustimmung aller Eigentümer
Manch einer mag denken, dass eine Erbschaft (s)einen Haufen an Problemen lösen kann. Doch eine Erbschaft kann auch Probleme schaffen, die man vorher nicht hatte. Wer sich beispielsweise wie ein König mit eigenem Reich fühlt, wenn er als Erbe zu Wohneigentum gelangt, sollte sich den Fall des Amtsgerichts Köln (AG) zu Gemüte führen.
Es ging um Mieter einer Wohnung, deren ursprüngliche Vermieterin verstarb. Daraufhin wurde eine Erbengemeinschaft aus zwei Töchtern und dem Sohn der verstorbenen Frau die Vermieterin. Mit der Auseinandersetzung dieser Erbengemeinschaft wurde schließlich der Sohn zum Eigentümer der Mietwohnung. Nach einigen Streitigkeiten mit seinen Mietern kündigte er ihnen letztendlich die Wohnung wegen Eigenbedarfs und erhob eine Räumungsklage. Damit hatte er allerdings keinerlei Erfolg.
Er war zwar Eigentümer der Wohnung geworden, das hat allerdings keine Auswirkungen auf die schuldrechtlichen Beziehungen zu den Mietern. Ein erbrechtlicher Grundsatz dahingehend, dass die Erbauseinandersetzung auf Schuldverhältnisse des Erblassers bzw. der Erben mit Dritten wirkt, existiert nach Ansicht des AG schlichtweg nicht. Eine entsprechende Vertragsänderung hätte die übereinstimmenden Willenserklärungen der Miterbinnen und der Mieter benötigt. Daher war der Mann nicht zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt gewesen. Er war zwar Eigentümer, aber nicht zum (alleinigen) Vermieter geworden.
Hinweis: Ein Erbe wird also nicht ohne weiteres Vermieter, auch nicht nach einer Erbauseinandersetzung. Und deshalb ist er auch nicht immer zu einer Kündigung berechtigt.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 09.01.2023 - 203 C 144/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2023)
Dass in gängigen Mietvertragsklauseln im Wohnraummietrecht viele Schönheitsreparaturklauseln unwirksam sind, ist mittlerweile bekannt. Ebenso bekannt ist es auch, dass sich Wohnraum- und Gewerbemietrecht in einigen, aber entscheidenden Punkten unterscheiden, allen voran die Kündigungsbedingungen. Dennoch weisen sie auch Gemeinsamkeiten auf, wie das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) im Folgenden dargelegt hat.
Ein Vermieter und eine Mieterin stritten über eine ganze Reihe von Punkten eines Gewerberaummietverhältnisses. Dabei ging es insbesondere um vertraglich vereinbarte Schönheitsreparaturen. Danach musste die Mieterin die Schönheitsreparaturen durchführen, war aber nach dem Vertrag nicht befugt, "ohne Zustimmung des Vermieters von der bisherigen Ausführungsart abzuweichen". Schließlich hat der Vermieter die Mieterin verklagt, unter anderem auf Zahlung von Malerarbeiten und sonstigen Schönheitsreparaturen. Damit kam er allerdings nicht weiter.
Eine Formularklausel, wonach der Mieter nur mit Zustimmung des Vermieters von der bisherigen "Ausführungsart" abweichen darf, verstößt laut OLG gegen das Klarheitsgebot des § 305c Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - und ist damit unwirksam. Der Begriff "Ausführungsart" ist mehrdeutig und kann sich auf die Grundausstattung, auf die Ausgestaltung im Einzelnen oder gar auf beides beziehen. Die teilweise Unwirksamkeit der Schönheitsreparaturklausel schlug somit auf die Gesamtregelung durch und machte diese insgesamt unwirksam. Für die nicht durchgeführten Malerarbeiten musste die Mieterin nichts bezahlen.
Hinweis: Auch im Gewerberaummietrecht können Mietvertragsklauseln unwirksam sein. Und das geht fast immer zu Lasten des Vermieters. Die Möglichkeit der Revision wurde für die Frage zugelassen, ob überhaupt sogenannte Dekorationsklauseln im Gewerbemietrecht unwirksam sein können. Vieles spricht jedoch für die Richtigkeit dieser Entscheidung. Der Mieter von Geschäftsraum ist in noch stärkerem Maße als der Wohnraummieter darauf angewiesen, dass er die Räume nach seinen Bedürfnissen gestalten kann.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Urt. v. 06.12.2022 - 3 U 132/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2023)
Streitigkeiten von Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) landen immer wieder vor Gericht. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ging es um die grundsätzliche Vorgehensweise, wenn einer der Eigentümer gegen einen Beschluss der WEG erfolgreich sein möchte.
In einer der Erdgeschosswohnungen der WEG gab es eine Außentür, die keine Türschwelle hatte und von außen abgeschlossen werden konnte. Der Wohnungseigentümer konnte von außen also durch diese Tür seine Wohnung betreten und war somit nicht auf die eigentliche Eingangstür angewiesen. Nun war diese Außentür erneuerungsbedürftig, und die Eigentümerversammlung beauftragte die WEG - vertreten durch den Verwalter -, dementsprechend tätig zu werden. Der Verwalter setzte den Beschluss um, allerdings ließ er nun eine mit einer 10 cm hohen Türschwelle versehene Terrassentür einbauen, die nicht von außen abgeschlossen werden konnte. Damit war der Wohnungseigentümer nicht einverstanden. Er zog schließlich vor Gericht und beantragte
Nun kam es zur Entscheidung des BGH, und dessen Senat urteilte, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Beschlussersetzung habe. Eine gerichtliche Beschlussersetzung ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die verlangte Maßnahme bereits Gegenstand einer positiven Beschlussfassung war. Mit dem Hilfsantrag kam der Eigentümer allerdings weiter. Denn dieser Antrag hatte eine klarstellende Funktion - und es bestand schließlich ein Bedürfnis für eine Klarstellung. Der damals auf der Eigentümerversammlung gefasste Beschluss musste dahingehend klargestellt werden, dass die zu erneuernde Terrassentür ebenerdig und von außen abschließbar sein muss. Denn das entsprach der vorherigen Tür - und damit der Rechtslage.
Hinweis: Eine gerichtliche Beschlussersetzung darf durch ein Gericht nicht mehr erfolgen, wenn die verlangte Maßnahme bereits Gegenstand einer Beschlussfassung von den Wohnungseigentümern war, die nicht angefochten wurde.
Quelle: BGH, Urt. v. 16.12.2022 - V ZR 263/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2023)
Verwalter von Wohneigentum haben es alles andere als leicht, wenn sie Verluste einfahren. Wenn sich herausstellt, dass der Aufwand nicht mehr in akzeptabler Relation zur Vergütung steht, kann ein Verwalter im Nachhinein diese nicht so einfach per Beschluss erhöhen lassen. Warum nicht, das zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Köln (AG).
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) bestellte einen neuen Verwalter. Im Vertrag war festgelegt, dass die Tätigkeiten des Verwalters für Versicherungsschäden am Gebäude von der Festvergütung umfasst sein sollten. Nun kam es, wie es kommen musste: Es gab alleine im Jahr 2022 insgesamt 20 Versicherungsschäden, zudem mussten Versicherungsfälle aus den Vorjahren abgewickelt werden. Der Verwalter war nun der Auffassung, mit der ursprünglich vereinbarten Vergütung nicht auszukommen. Somit wurde auf der Eigentümerversammlung beschlossen, dass ergänzend zum geschlossenen Verwaltervertrag für die Bearbeitung von Versicherungsschäden eine Sondergebühr über 300 EUR je Versicherungsschaden an den Verwalter gezahlt werden muss. Dagegen klagte ein Eigentümer.
Das AG war auf der Seite des Klägers und erklärte den gefassten Beschluss für unwirksam. Denn der Verwalter hatte keine Gründe vorgetragen, die ausnahmsweise eine nachträgliche Erhöhung der Vergütung rechtfertigen würden. Es gehört zum Geschäftsleben des Verwalters, gute und schlechte Geschäfte zu machen. Ein Verlustgeschäft liegt jedoch im unternehmerischen Risiko des Verwalters. Der Verwalter hätte einfach bei Abschluss des Vertrags besser verhandeln müssen.
Hinweis: Es gehört also zum Geschäftsleben von WEG-Verwaltern, auch einmal ein Verlustgeschäft zu tätigen. Wenn der kalkulierte Aufwand geringer ist als der veranschlagte, meckert niemand.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 17.01.2023 - 215 C 58/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Schön sind sie sicher nicht. Aber Klimawandel und die ökonomischen Folgen des Ukrainekriegs machen Photovoltaikanlagen zu Recht immer beliebter. Dass diese jedoch nicht überall angebracht werden dürfen, musste schon mancher erfahren. Im Folgenden traf es eine Eigentümerin, die auf Betreiben der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) vom Amtsgericht Konstanz (AG) ausgebremst werden musste.
Hierbei ging es um eine Wohnungseigentumsanlage mit 34 Wohnungen. Der Mieter einer der Wohnungen hatte an der Außenseite seines Balkons eine Minisolaranlage angebracht - zwar mit Zustimmung der Eigentümerin, aber ohne Zustimmung der übrigen Eigentümer. Das "Balkonkraftwerk" hatte ein Solarmodul mit der Größe von 168 cm x 100 cm und war an einen Wechselrichter angeschlossen. Das gefiel nicht allen Eigentümern, und so wurde auf einer Eigentümerversammlung der Beschluss gefasst, den Verwalter zu beauftragen, alle rechtlichen Mittel gegen die rechtswidrigen baulichen Veränderungen zu ergreifen. Dagegen zog die Eigentümerin der Wohnung vor das AG - jedoch vergeblich.
Denn im Gesetz gibt es eine sogenannte Bausperre für bauliche Veränderungen ohne Zustimmung der Eigentümer. Und das AG war der Auffassung, dass die Montage der Photovoltaikanlage eine solche Veränderung darstellt. Auch die Tatsache, dass sogenannte Wallboxen unter Umständen zu erlauben sind, änderte nichts an dem hier bestehenden Veränderungsverbot.
Hinweis: Nach Ansicht des AG ist also das Anbringen einer Photovoltaikanlage außen am Balkon nicht in einer WEG erlaubt - es sei denn, alle Eigentümer stimmen zu.
Quelle: AG Konstanz, Urt. v. 09.02.2023 - 4 C 425/22 WEG
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Zum Thema Sonstiges
- Ausübung rechtsmissbräuchlich: Widerspruch beim Abschluss der Lebensversicherung nach 29 Jahren
- Außergewöhnlicher Umstand: Keine Ausgleichszahlung nach Verspätung durch Blitzeinschlag
- Schwarzarbeit und Beitragsnachforderungen: Fehlendes Unternehmerrisiko von Bauarbeitern widerspricht Nachunternehmervertrag
- Steuerhinterziehung und Schwarzgeld: Kein Anspruch auf Rückforderung des geleisteten Kaufpreises bei Nichtigkeit des Kaufvertrags
- Unterlassungsverfügung: Briefkastenaufkleber "Bitte keine Werbung einwerfen!" besser nicht ignorieren
Vielfach konnten neuabgeschlossene Lebensversicherungen innerhalb einer bestimmten Frist widerrufen werden. War der Hinweis auf den Widerruf nicht ordnungsgemäß erfolgt, galt auch die im Widerruf aufgeführte Frist nicht. Entsprechend ist dann auch ein Widerruf nach vielen Jahren noch möglich. Dass es jedoch auch hier Grenzen gibt, zeigt der Fall des Landgerichts Köln (LG).
Eine Frau hatte im November 1994 bei einer Versicherung eine fondsgebundene Lebensversicherung abgeschlossen. Auf Seite 1 des Antragsformulars war folgende Belehrung enthalten: "Ich kann meinen Antrag auf Lebensversicherung innerhalb von 10 Tagen nach seiner Unterzeichnung widerrufen ..." Als die Versicherung zum 01.12.2009 ablief, zahlte die Versicherung 83.832 EUR. Am 04.11.2021 erklärte die Frau dann den Widerspruch. Sie war der Ansicht, sie habe sich mangels ordnungsgemäßer Belehrung auch noch im Jahr 2021 von dem Vertrag lösen können und wollte nun weitere 28.431 EUR sowie die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Versicherung meinte jedoch, die Ausübung des Widerspruchsrechts sei rechtsmissbräuchlich.
Das LG sah dies genauso. Die Ausübung des Widerspruchsrechts war nach 29 Jahren unzulässig und stellte sich als grob widersprüchliches und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßendes Verhalten dar. Der Versicherer musste daher mit einem Widerspruch des Versicherungsnehmers nicht mehr rechnen. Auch die Versicherungsnehmerin war insoweit nicht mehr schutzwürdig.
Hinweis: Die Gerichte sind mit dem Grundsatz des Verfalls wegen Zeitablauf sehr restriktiv. Trotzdem ist irgendwann Schluss - nach diesem Urteil spätestens nach 29 Jahren.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 11.01.2023 - 12 O 60/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Wer mit dem Flugzeug zu spät kommt, lässt meistens prüfen, ob es eine Ausgleichszahlung dafür geben kann. Es war die Aufgabe des Landgerichts Frankfurt am Main (LG), den Zahlungsanspruch von Flugpassagieren nach einer erheblichen Verspätung einer Prüfung zu unterziehen.
Der betreffende Flug verspätete sich um acht Stunden und 50 Minuten - Grund für die Verspätung: ein Blitzeinschlag am vorgesehenen Flugzeug. Deshalb wurden nun Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Verordnung EG Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) geltend gemacht. Geld gab es jedoch keins.
Das ausführende Luftfahrtunternehmen war in den Augen des LG nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen wegen der Verspätung von mehr als drei Stunden zu leisten, da die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen war, die sich nicht hätten vermeiden lassen. Ein Blitzeinschlag stellt nach der Ansicht der Richter durchaus einen solchen außergewöhnlichen Umstand dar. In einer ähnlichen Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof auch bereits einen Vogelschlag als außergewöhnlichen Umstand betrachtet. Dieser Fall des Blitzeinschlags ist insoweit damit vergleichbar.
Hinweis: Ob es eine Ausgleichszahlung wegen eines verspäteten oder ausgefallenen Flugs geben kann, prüft der Rechtsanwalt. Er ist für diesen Fall Ansprechpartner, ebenso wie für die gesamten Fragen des Reiserechts.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.02.2023 - 2-24 S 14/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Immer wieder versuchen Firmen, sich durch Nachunternehmerverträge mit Scheinselbständigen um die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu drücken. Wer dabei erwischt wird, wird der Beschäftigung von Schwarzarbeitern beschuldigt und muss sich auf hohe Forderungen einstellen. Das zeigt auch der Fall des Landessozialgerichts Hessen (LSG).
Eine Baufirma ließ drei ungarische Männer, die eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet hatten, Trockenbauarbeiten verrichten. Die GbR war in die Handwerksrolle eingetragen, verfügte über eine sogenannte Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug bei Bauleistungen und erstellte vorläufige Einnahmenüberschussrechnungen. Doch dann ermittelte das Hauptzollamt, und die Deutsche Rentenversicherung (DRV) führte eine Betriebsprüfung durch. Dabei stellte die DRV fest, dass die drei Männer als sogenannte Scheinselbständige abhängig beschäftigt gewesen seien, und forderte von der Baufirma Sozialversicherungsbeiträge inklusive Säumniszuschlägen in Höhe von 103.624,46 EUR. Der Inhaber der Baufirma sah das anders und verwies auf den abgeschlossenen Nachunternehmervertrag. Schließlich wurde geklagt.
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Bauarbeiter, die im Wesentlichen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und kein Unternehmerrisiko tragen, sind abhängig beschäftigt. Die beauftragende Baufirma kann sich nicht auf einen Nachunternehmervertrag berufen, wenn dieser lediglich die tatsächlichen Verhältnisse verschleiern sollte, um der gesetzlichen Sozialabgabepflicht zu entgehen.
Hinweis: Ehrlich währt am längsten. Und dazu gehört die Schwarzarbeit sicherlich nicht. Unternehmer sollten sich trotzdem bei dem Vorwurf einer solchen Beschäftigung direkt an einen Rechtsanwalt wenden - bevor sie Angaben gegenüber den Behörden machen.
Quelle: LSG Hessen, Urt. v. 07.03.2023 - L 8 BA 51/20
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Wer die Zahlung von Schwarzgeld vereinbart, muss sich über die weitreichenden Konsequenzen im Klaren sein. Und wie im Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) heißt das nicht nur, vor Gericht folgenreich Rede und Antwort zu stehen, sondern letzten Endes auch völlig leer auszugehen, wenn man sein (Schwarz-)Geld zurückverlangt.
Ein Mann verkaufte sein Sportstudio inklusive der Einrichtungsgegenstände. Der vereinbarte Kaufpreis sollte ausweislich des Kaufvertrags 5.000 EUR betragen. Mündlich vereinbarten die Parteien, dass die Käuferin weitere 30.000 EUR zahlen sollte. Dann zahlte die Käuferin 1.000 EUR und der Mann übergab sein Sportstudio. Schließlich erklärte er jedoch ein halbes Jahr später, dass er von dem Vertrag zurücktrete. Er habe lediglich die 1.000 EUR erhalten. Die Frau dagegen behauptete, es sei abgesprochen gewesen, dass die Zahlung der weiteren 30.000 EUR in bar an der Steuer vorbei erfolgen solle - und diese 30.000 EUR habe sie dem Mann auch gegeben. Deshalb verlangte die Frau nun die Rückzahlung der insgesamt 31.000 EUR, die sie jedoch nicht erhielt.
Der Kaufpreis war im Kaufvertrag nach den Richtern zum Zweck der Steuerverkürzung wahrheitswidrig zu niedrig angegeben worden. Deshalb war der Vertrag insgesamt nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit § 370 Abgabenordnung nichtig. Ein Anspruch auf Rückforderung des geleisteten Kaufpreises ist bei Nichtigkeit des Kaufvertrags jedoch auch vor dem OLG ausgeschlossen.
Hinweis: Die Gerichte in Deutschland gehen immer weiter dazu über, Geschäfte mit Schwarzgeld insgesamt für null und nichtig anzusehen. In diesem Fall wurde tatsächlich die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Es spricht jedoch alles dafür, dass die Entscheidung richtig ist.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 06.02.2023 - 2 U 78/22
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(aus: Ausgabe 05/2023)
Papier ist ja bekanntlich geduldig. Wie bindend aber der allseits beliebte Briefkastenaufkleber "Bitte keine Werbung einwerfen" für werbetreibende Unternehmen eigentlich ist, war Gegenstand des Falls, der kürzlich vor dem Amtsgericht München (AG) landete.
Bei einer Briefkastenanlage waren sämtliche Briefkästen mit dem Hinweis "Bitte keine Werbung einwerfen" gekennzeichnet. Ein Mann hatte dort trotzdem zwei Werbeflyer einer Umzugsfirma gefunden, die in eine Ritze zwischen einem Briefkasten und einem darunter liegenden Spalt der Briefkastenanlage geklemmt waren. Er legte eine Unterlassungsklage ein.
Das AG war da ganz auf seiner Seite: Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ging es davon aus, dass die Handzettel eines Unternehmens auch von Werbeverteilern, die für das Unternehmen tätig sind, im Zuge von Werbeaktionen eingeworfen wurden. Hierbei handelt es sich um einen typischen Geschehensablauf. Die pauschale Behauptung, Dritte könnten Handzettel verteilt haben, steht diesem Anscheinsbeweis nicht entgegen. Deshalb stand dem Mann ein Anspruch auf Unterlassung zu. Er wurde in seinem Besitz rechtswidrig gestört. Es bestand außerdem eine Wiederholungsgefahr.
Hinweis: Wer gegen unerwünschte Werbung vorgehen will, kann das durch eine Unterlassungsverfügung tun. Im Wiederholungsfall wird es dann für das verteilende Unternehmen sehr teuer.
Quelle: AG München, Urt. v. 18.03.2022 - 142 C 12408/21
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(aus: Ausgabe 05/2023)