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Zum Thema Arbeitsrecht
- Krank zur Arbeit: Arbeitgeber muss für Folgen des Fehlverhaltens seines Geschäftsführers haften
- Notwendiges Vertrauen verwirkt: Vorlage eines gefälschten Impfausweises rechtfertigt außerordentliche fristlose Kündigung
- Persönlichkeitsrechte verletzt: Datenschutzverstoß eines Betriebsrats kann dessen Kündigung rechtfertigen
- Schwangerschaft und Unterschlagung: Fristlose Kündigung trotz ausstehendem Verwaltungsgerichtsurteil mit Ende der Elternzeit rechtens
- Unterschriften-Scan: Klage gegen Arbeitsvertragsbefristung wegen fehlender Schriftform erfolgreich
Dieser Fall ist Folge der Corona-Pandemie und der Verstöße gegen diesbezügliche Anordnungen. Dass eine mögliche Infektion Grund genug sein sollte, zu Hause zu bleiben, ist zwar nicht besonders neu. Interessant sind allerdings die Konsequenzen eines gegenteiligen Verhaltens - und die können auch Arbeitgeber teuer zu stehen kommen, wie der Fall des Landesarbeitsgerichts München (LAG) zeigt.
Der Geschäftsführer einer Immobilienfirma kam im August 2020 mit Erkältungssymptomen aus dem Urlaub zurück. Er ging weiterhin zur Arbeit und fuhr eine Woche später mit einer Mitarbeiterin gemeinsam in einem Pkw zu zwei Eigentümerversammlungen - weder er noch die Mitarbeiterin trugen eine Maske. Man ahnt die Folgen: Der Geschäftsführer wurde kurz darauf positiv auf das Corona-Virus getestet. Seine Kollegin erhielt daraufhin eine Quarantäneanordnung und musste ihre für das folgende Wochenende geplante Hochzeitsfeier mit etwa 100 Gästen absagen. Die Stornokosten beliefen sich auf 5.000 EUR, die sie von ihrem Arbeitgeber ersetzt verlangte und einklagte - erfolgreich.
Der Arbeitgeber musste nach Ansicht des LAG zahlen, denn sein Geschäftsführer hatte eine Pflichtverletzung begangen, indem er trotz Erkältungssymptomen zur Arbeit kam. Er hätte vorher abklären müssen, ob eine Corona-Infektion vorlag. Wäre der Geschäftsführer nicht zur Arbeit gekommen oder zumindest nicht mit der Mitarbeiterin gemeinsam in einem Auto gefahren, hätte diese ihre Hochzeit wie geplant feiern können. Der Arbeitgeber muss folglich die Stornokosten übernehmen.
Hinweis: Dieses Urteil sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer kennen, da der Arbeitgeber für ein Fehlverhalten seines Geschäftsführers haften musste.
Quelle: LAG München, Urt. v. 14.02.2022 - 4 Sa 457/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Im Arbeitsrecht ist allgemein bekannt, dass Arbeitnehmer mit einer Kündigung rechnen müssen, wenn sie Arbeitgeber belügen oder betrügen. Wie es sich aber dabei mit der Vorlage eines gefälschten Impfausweises verhält, musste im Folgenden das Arbeitsgericht Köln (ArbG) klären.
Eine Arbeitnehmerin arbeitete bei einem Unternehmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und betreute in diesem Zusammenhang auch Pflegeeinrichtungen. Die Arbeitgeberin informierte im Oktober 2021 sämtliche Mitarbeiter, dass ab November nur noch vollständig geimpfte Mitarbeiter Kundentermine wahrnehmen dürften. Daraufhin legte die Arbeitnehmerin einen Impfausweis vor und nahm dann weitere Außentermine bei Kunden wahr. Später stellte sich heraus, dass der Impfausweis gefälscht war. Die Arbeitgeberin nahm das zum Anlass, eine fristlose außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen.
Auch das ArbG war der Auffassung, dass durch die Vorlage eines gefälschten Impfnachweises ein wichtiger Grund für eine Kündigung vorgelegen hatte. Der Präsenzkontakt zu ungeimpften Kunden stellte eine erhebliche Verletzung der Verpflichtung der Arbeitnehmerin zur Wahrung der Arbeitgeberinteressen dar. Sie hatte das für eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen somit verwirkt.
Hinweis: Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises stellt also einen Kündigungsgrund dar. Das sollten Arbeitnehmer wissen.
Quelle: ArbG Köln, Urt. v. 23.03.2022 - 18 Ca 6830/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist auch vier Jahre nach ihrer Verabschiedung für Laien noch mit vielen rechtlichen Fallstricken versehen. Der folgende Fall, der bis vor das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) ging, sollte aber allen glasklar als Datenschutzverstoß erkennbar sein. Oder geht es Ihnen dabei wie dem Betriebsrat, dessen Vorgehen empfindliche Folgen hatte?
Der seit mehr als 20 Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigte Entwicklungsingenieur war seit dem Jahr 2006 Mitglied des Betriebsrats. Die Arbeitgeberin hatte ihm bereits vor mehreren Jahren einmal gekündigt, wogegen der Arbeitnehmer erfolgreich eine Kündigungsschutzklage eingelegt hatte. Die diesbezüglichen Prozessakten und insbesondere die Schriftsätze der Arbeitgeberin hatte er nun digitalisiert und im Internet einem größeren Kreis von Personen zum Herunterladen bereitgestellt. Daraufhin wurde ihm erneut außerordentlich gekündigt. Die Arbeitgeberin war der Auffassung, der Arbeitnehmer habe gegen Bestimmungen der DSGVO verstoßen. In den Schriftsätzen der Arbeitgeberin waren nämlich auch personenbezogene Daten enthalten - insbesondere Gesundheitsdaten weiterer Mitarbeiter mit deren Namen. Diese personenbezogenen Daten hatte der Arbeitnehmer ebenfalls einem größeren Verteilerkreis offenbart.
Das LAG wies aufgrund dieser Fakten die Kündigungsschutzklage des Mannes ab. Es war der Auffassung, dass er rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte anderer verletzt habe. Er hätte die in den Schriftsätzen namentlich benannten Personen und deren Gesundheitsdaten nicht veröffentlichen dürfen. Dementsprechend war die außerordentliche Kündigung auch gerechtfertigt.
Hinweis: Einem Betriebsratsmitglied kann also sozial gerechtfertigt gekündigt werden, wenn es sensible Personaldaten aus einem früheren Kündigungsschutzprozess digital veröffentlicht.
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 05.03.2022 - 7 Sa 63/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Schwangere Arbeitnehmerinnen genießen ebenso einen besonderen Kündigungsschutz wie Mütter und Väter in Elternzeit. Wenn sich diese jedoch eines Vergehens am Arbeitsplatz schuldig gemacht haben, ist eine Kündigung zwar schwierig durchzusetzen, jedoch nicht unmöglich. Ob ein Arbeitgeber hierzu die Entscheidung seiner Klage abwarten muss oder aber nach Ablauf der Schutzfristen dennoch kündigen darf, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) entscheiden.
Eine schwangere Arbeitnehmerin hatte Geld unterschlagen. Da Schwangere einen Sonderkündigungsschutz genießen, beantragte der Arbeitgeber ordnungsgemäß bei der Aufsichtsbehörde die Zustimmung zur Kündigung. Die Behörde erteilte jedoch keine Zustimmung, so dass der Arbeitgeber schließlich nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) gegen die Behördenentscheidung erhob. Noch bevor das VG eine Entscheidung gefällt hatte, kam das Kind der Mitarbeiterin zur Welt. Als die beantragte Elternzeit der Mutter endete, kündigte der Arbeitgeber ihr am ersten Tag nach Ende der Elternzeit fristlos. Die Zustimmung der Behörde war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erforderlich, da schließlich kein Sonderkündigungsschutz mehr bestand. Die Arbeitnehmerin zog gegen die Kündigung erfolglos vor die Arbeitsgerichte.
Die Unterschlagungen hatten die fristlose Kündigung gerechtfertigt, weil dadurch ein wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag. Der Arbeitgeber hat für eine fristlose Kündigung zwar grundsätzlich nur zwei Wochen nach Bekanntwerden des Kündigungsgrunds Zeit - hier reichte es jedoch aus, dass er innerhalb dieser zwei Wochen die Zustimmung zur Kündigung bei der Behörde beantragt hatte. Wäre die Zustimmung erteilt worden, hätte er dann unverzüglich nach Erhalt kündigen müssen. Der Wegfall des Zustimmungserfordernisses ist jedoch nach Ansicht des LAG einer Zustimmung gleichzusetzen.
Hinweis: Arbeitgeber brauchen demnach nicht mehr den Ausgang des VG-Verfahrens abzuwarten. Sie können dann kündigen, wenn der besondere Kündigungsschutz entfallen ist.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 15.03.2022 - 5 Sa 122/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Immer dann, wenn das Gesetz die Schriftform vorsieht, müssen entsprechende Schriftstücke auch tatsächlich im Original unterschrieben sein. Zwar kann in Ausnahmefällen eine sogenannte qualifizierte elektronische Signatur (QES) eine Originalunterschrift ersetzen - ein Scan kann dies jedoch nicht. Was passiert, wenn diese strenge Schriftform nicht eingehalten wird, musste eine Zeitarbeitsfirma vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) erfahren.
Oft geht das Gesetz von einer strengen Schriftform aus - und diese bedeutet ganz klar: Originalunterschrift auf Papier. Das ist beispielsweise bei einer Kündigung oder beim Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags der Fall. In diesem Fall schloss eine Zeitarbeitsfirma mit einer Mitarbeiterin über viele Jahre hinweg über 20 befristete Arbeitsverträge, die sich jeweils auf Tätigkeiten für wenige Tage bezogen. Die Verträge, die die Mitarbeiterin erhielt, waren jedesmal mit einer eingescannten Unterschrift des Arbeitgebers statt mit dessen originaler Signatur versehen. Die Arbeitnehmerin unterschrieb jedesmal die jeweiligen Verträge und schickte sie zurück. Schließlich klagte sie auf Unwirksamkeit der Befristung wegen der fehlenden Schriftform - und siegte vor Gericht.
Die Befristung eines Arbeitsvertrags bedarf der Schriftform und damit einer Originalunterschrift bzw. einer QES. Eine eingescannte Unterschrift erfüllt diese Eigenschaften auch laut LAG nicht. Die Befristung wird auch nicht durch eine nachträgliche eigenhändige Unterschrift wirksam.
Hinweis: Die Arbeitnehmerin konnte die fehlende Originalunterschrift zu ihren Gunsten ausnutzen. Befristete Arbeitsverträge, eine Kündigung und ein Aufhebungsvertrag müssen immer unterschrieben werden - und das im Original!
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.03.2022 - 23 Sa 1133/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Zum Thema Familienrecht
- Erst Jugendamt, dann Gericht: Wer außergerichtlichen Einigungsversuch umgehen will, verliert Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe
- Ordnungsgeld nach Umgangsverweigerung: Auch eine Wöchnerin darf den Umgang von älterer Tochter nicht einfach ausfallen lassen
- Wille eines Zwölfjährigen: Wechselmodell kann auch bei andauerndem Elternkonflikt durchgesetzt werden
- Wohnvorteil entscheidend: Tilgungsleistungen eines Immobiliendarlehens können beim Kindesunterhalt berücksichtigt werden
- Zugewinnausgleich: Unternehmensbewertung einer Rechtsanwaltskanzlei muss auch den Goodwill berücksichtigen
Verfahrenskostenhilfe (VKH) - Prozesskostenhilfe außerhalb des Famlienrechts - können diejenigen beantragen, die sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln außerstande sehen, die Prozesskosten selbst zu tragen. Doch dabei sollte verantwortungsvoll mit öffentlichen Mitteln umgegangen werden, wie kürzlich sowohl das Amtsgericht Bad Liebenwerda (AG) als auch das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) bestätigten.
Wenn getrenntlebende Eltern sich um Umgangs- oder Sorgerecht streiten, vermittelt das örtliche Jugendamt oder verweist die Eltern an eine kostenfreie Beratungsstelle. Wenn man den Versuch einer außergerichtlichen Einigung jedoch überspringen möchte und gleich einen Antrag beim Familiengericht stellt, bekommt man dort in der Regel keine VKH bewilligt. So ging es einem Vater beim AG.
Auch das OLG bestätigte schließlich die Ablehnung. Es sei nicht der Zweck der VKH, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Personen Prozesse zu ermöglichen, die ein Selbstzahler nicht führen würde. Ein auf sein Geld achtender Selbstzahler würde zunächst kostenlose Angebote wahrnehmen und erst nach deren Scheitern gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Erst, wenn solche Bemühungen fehlgeschlagen oder objektiv aussichtslos sind oder die Dringlichkeit einen solchen Zeitverlust nicht zulässt, ist VKH möglich.
Hinweis: Der Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt bei der Ausübung des Umgangsrechts beruht auf § 18 Achtes Buch Sozialgesetzbuch.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Urt. v. 07.04.2022 - 13 WF 52/22
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Wenn vor Gericht der Umgang zwischen einem Kind und seinem getrenntlebenden Elternteil festgelegt wurde - egal, ob durch Beschluss oder Einigung -, dann ist das für alle verbindlich. Bei Verstößen kann das Gericht finanziellen Druck aufbauen, so wie das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), das im folgenden Fall die Vorinstanz bestätigte.
Ein Vater durfte seine Tochter ohnehin schon nur unter professioneller Begleitung sehen. Die Mutter war durch das Amtsgericht (AG) verpflichtet worden, das Kind zu den Terminen in einem sogenannten "Familienzentrum" abzugeben. Zweimal erschien die Mutter nicht - folglich auch nicht die Tochter. Die Mutter begründete das damit, dass sie zwei bzw. vier Wochen zuvor erneut ein Kind geboren habe, somit noch Wöchnerin war. Zudem sei das Neugeborene krank gewesen. Weder ihr noch dem Baby seien die Strapazen einer solchen mehrstündigen Aktivität zumutbar gewesen. Niemand sonst habe die ältere Tochter zum 30 km entfernten Familienzentrum bringen und abholen können.
Trotz dieser Begründung musste sie ein Ordnungsgeld von 300 EUR zahlen. Denn das OLG bestätigte das AG: Die Umgangsregelung ist für beide Elternteile verbindlich. Wer Termine ausfallen lässt, müsse sich so entschuldigen, dass man ihm nichts vorwerfen können, denn die sogenannte Vorwerfbarkeit wird gesetzlich vermutet. Das OLG war hier der Meinung, dass sowohl die Wöchnerin als auch ihr Neugeborenes die Autofahrt und die Wartezeit während des Umgangs hätten schaffen müssen. Eine "krankheitsbedingte Transportunfähigkeit" sei nicht ärztlich attestiert worden - und selbst wenn, hätte die Mutter sich rechtzeitig um jemanden kümmern müssen, der die ältere Tochter zum Umgang mit ihrem Vater bringt.
Hinweis: Solche Beschlüsse haben meist eine lange Vorgeschichte von Umgangsverweigerung, weshalb die Gerichte über das Ordnungsgeld versuchen, einen verweigernden Elternteil zu erziehen. Die Höhe des Ordnungsgelds wird immer individuell anhand der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Mutwilligkeit des Verstoßes festgelegt. Diese Beträge fließen jedoch in die Staatskasse und nicht an den, dessen Umgangskontakt ausgefallen ist.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 21.04.2022 - 13 WF 51/22
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Nachdem der Bundesgerichtshof 2017 klargestellt hat, dass Gerichte auch gegen das Veto einer Mutter das Wechselmodell erzwingen können, sind die Störung der elterlichen Kommunikation, die fehlende Kooperationsfähigkeit und die sogenannte Hochkonflikthaftigkeit weiterhin die häufigsten K.-o.-Kriterien für dieses Umgangsmodell. Zunehmend gehen Gerichte auch damit allerdings sehr differenziert um und prüfen, ob diese gestörte Elternebene nicht in allen Betreuungsmodellen gleichermaßen schädlich ist und es die Situation sogar entschärfen könnte, wenn zwischen den Eltern kein Machtgefälle mehr empfunden wird.
In diesem Fall war 2021 für das Amtsgericht (AG) ausschlaggebend gewesen, dass das damals elfjährige Kind sich nach einer Zeit, in der es den Vater in jeder zweiten Woche von Donnerstagnachmittag bis Dienstagmorgen getroffen hatte, einen Woche-Woche-Wechsel gewünscht hatte. Da die Entscheidung des AG sofort wirksam war, wurde dies dann auch vorläufig umgesetzt, obwohl die Mutter zum Oberlandesgericht (OLG) in Beschwerde ging. Bis zur einer Entscheidung 2022 nach einer gescheiterten Mediation der Eltern konnte man somit bereits auf ein Jahr Wechselmodellerfahrung zurückblicken. Das Kind wollte diese Umgangsform immer noch, beschrieb diese Regelung als besser als zuvor und zudem als "fair". Praktische Probleme habe es nicht gegeben. Eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern war jedoch immer noch kaum möglich. Es fehlte weiterhin an gegenseitigem Respekt und Vertrauen, die direkte Kommunikation war eingestellt. Der massive Elternkonflikt war zudem Gegenstand eines Sorgerechtsverfahrens bezüglich einer ärztlichen Behandlung, da das Kind seit Jahren Verhaltensauffälligkeiten wegen des andauernden Elternkonflikts zeigte.
Die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern ist nach OLG aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten kann. Gegenüber anderen Betreuungsgestaltungen - wie etwa dem zuvor praktizierten erweiterten Umgang des Vaters mit seinem Sohn - stellte das Wechselmodell nach dem "Prinzip der Schadensminimierung" das für das Kind am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell dar. Alle für die Durchführung des Wechselmodells bedeutsamen Fragen seien zwischen den Eltern geklärt. Daher funktioniere das Wechselmodell in der Praxis im Wesentlichen reibungslos.
Den klaren, gut begründeten und im Verfahren mehrfach geäußerten Willen des inzwischen fast Zwölfjährigen konnte das OLG nicht übergehen. Das hohe Gerechtigkeitsempfinden des Kindes sei zu respektieren. Das gelte auch vor der Überlegung, dass das Kind Opfer eines Loyalitätskonflikts sei und nur "Ruhe" wolle. Der konstant geäußerte Wunsch nach hälftiger Betreuung stelle seine psychische Lebenswirklichkeit dar. Eine Nichtbeachtung des Willens berge die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung mit voraussichtlich negativen Folgen für seine psychische Entwicklung.
Hinweis: Das OLG entschied ohne Sachverständigen, weil es die Sachlage nach Anhörung des Kindes so eindeutig fand, dass es von einem Sachverständigengutachten keinen erheblichen Erkenntnisgewinn erwartete. Üblicherweise werden in solchen Verfahren jedoch Gutachten über die Familie eingeholt, die die Eltern viele tausend Euro kosten, wenn sie nicht Verfahrenskostenhilfe gewährt bekommen haben.
Quelle: OLG Dresden, Beschl. v. 14.04.2022 - 21 UF 304/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Wohnt ein Unterhaltspflichtiger in einem Eigenheim und behauptet dann, ihm bliebe nicht genug, um den geschuldeten Kindesunterhalt zu leisten, mag man instinktiv zuerst die Stirn in Falten legen. Doch so einfach, wie es sich auf den ersten Blick liest, ist die Sache naturgemäß nicht. Denn hier spielen auch in den Augen des Bundesgerichtshofs (BGH) sowohl der Mietwert der Immobilie als auch diesbezügliche Kreditbelastungen eine Rolle.
Ein Vater zahlte für seine 13 und 15 Jahre alten Kinder aus geschiedener Ehe keinen Unterhalt, weil er sich diesen angeblich nicht leisten könne. Also sprang die Unterhaltsvorschusskasse beim Jugendamt ein und verlangte die Beträge vom Vater nun ersetzt. Der Vater verdiente bereinigt 1.664 EUR netto und hatte sich eine kleine Immobilie zum Selbstbewohnen bankfinanziert gekauft. Der Mietwert lag um 27,50 EUR höher als die Raten an die Bank. Insgesamt konnte der Vater sich damit unter Beachtung seines Selbstbehalts von 1.160 EUR nicht den Mindestunterhalt leisten, sondern nur 252 EUR je Kind (so das Amtsgericht). Die Unterhaltsvorschusskasse widersprach, da von den Darlehensraten nur der Zins, nicht aber die Tilgung abziehbar sei, und verlangte mehr. Das daraufhin eingeschaltete Oberlandesgericht verglich die Konstellation mit der Situation, in der der Vater zur Miete wohnen würde. Nach dieser Rechnung würde noch weniger für die Kinder zur Verfügung stehen - nämlich nicht die Differenz aus Wohnwert (350 EUR) und Darlehen (322,50 EUR).
Den Gedanken trug auch der BGH mit. Zwar handele es sich bei der Tilgung des Immobilienkredits um eine Vermögensbildung - und diese sei zu Lasten eines Mindestunterhalts Minderjähriger eigentlich nicht gestattet. Aber in diesem Fall gehe dies nicht "zu Lasten" des Unterhaltsberechtigten, weil es ohne Zins und Tilgung den zu seinen Gunsten berücksichtigten Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete gar nicht gäbe.
Hinweis: Anders sähe die Lage aus, wenn die Darlehensraten höher als die ersparte Miete wären. Das wird beim Mindestkindesunterhalt sehr kritisch gesehen und muss zur Prüfung führen, ob eine ungewöhnlich hohe Tilgung vereinbart wurde.
Quelle: BGH, Urt. v. 09.03.2022 - XII ZB 233/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Ist ein Ehepartner selbständiger Unternehmer, stellt ihn die Scheidung vor das Problem, seinen Unternehmensanteil bewerten (lassen) zu müssen. Neben dem Sachwert und Ertragswert gibt es dabei auch den sogenannten "Goodwill" - den Preis für den guten Ruf des Unternehmens. Und eben jener war für den Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall entscheidend, in dem zwei Münchener Eheleute im Scheidungsverfahren über den Umfang der Auskunftspflicht über das Vermögen stritten.
Bevor man den Wert eines Unternehmens feststellen kann, benötigt man aussagekräftige Unterlagen. Der Stichtag für die Auskunft zum Endvermögen lag hier im Januar 2019. Zu diesem Zeitpunkt war der Ehemann als Rechtsanwalt Partner einer Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern gewesen. Zum September 2019 hatte der Ehemann den Partnern gekündigt, wechselte beruflich in eine andere Gesellschaft und bekam bei seinem Ausscheiden eine Abfindung. Er meinte nun, der Frau müsse die Höhe der Abfindung genügen, um zu beurteilen, welchen Wert sein Gesellschaftsanteil im Januar 2019 gehabt habe.
Das sah der BGH jedoch anders. Zum einem war der zeitliche Abstand von neun Monaten zwischen Stichtag und Ausscheiden zu groß, das war nicht mehr "zeitnah". Zum anderen musste die Abfindung nicht zwingend etwas über den wirklichen Anteilswert aussagen, weil damit der "Goodwill" nicht mitvergütet worden war. Denn seinen guten Ruf - und unter Umständen auch seine Mandanten - nahm der Anwalt ja mit in seine neue Gesellschaft.
Hinweis: Alle Argumente, die der Mann gegen die Werthaltigkeit seines Unternehmensanteils vorbrachte, waren dem BGH erstmal gleichgültig - diese könne er später noch einwenden, sobald die Gegenseite den Wert beziffert und den Ausgleich verlangt habe. Dasselbe galt für das Verbot der Doppelberücksichtigung in Zugewinn und Unterhalt. Zuerst waren Auskunft zu erteilen und Belege vorzulegen, denn das ist immer dann der Fall, wenn die Auskunft nicht von vorneherein völlig unerheblich für die Anspruchshöhe sein kann.
Quelle: BGH, Beschl. v. 23.02.2022 - XII ZB 38/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Zum Thema Mietrecht
- Fehlende Rechtsbeziehung: Mietrückstände von Grundsicherungsempfängern können nicht beim Jobcenter eingeklagt werden
- Gefahr zu abstrakt: Bank steht als Mieterin einer Teileigentumseinheit Betrieb eines Geldautomaten im Wohnhaus zu
- Trotz Mietzahlungsverzugs: Vermieter dürfen Mieter bei geringfügigem Versehen nicht mutwillig ins Messer laufen lassen
- Trotz erhöhter Brandgefahr: Eigentümerversammlung darf das Abstellen von E-Autos in der Tiefgarage nicht untersagen
- Vermieter angegangen: Beleidigung und Tätlichkeit rechtfertigen außerordentliche fristlose Kündigung
Häufig ist es sinnvoll, wenn Mieter ihre Mietzahlungen direkt vom Jobcenter an den Vermieter überweisen lassen. Was jedoch passiert, wenn es trotz dieser praktikablen Lösung zu Rückständen von Nebenkosten oder Miete kommt, musste im Folgenden das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) klären.
Ein Mann vermietete Wohnungen an Grundsicherungsempfänger. Er erhielt die Zustimmung der Mieter, dass das Jobcenter die Miete direkt an ihn überweisen durfte. Eine Mieterin zahlte nun zwei Jahre lang keine Nebenkosten. Der Vermieter verlangte deshalb die Zahlung der Rückstände vom Jobcenter. Er hielt es für eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, dass das Jobcenter zwar die Kosten des Energieversorgers direkt zahle, er jedoch erst prozessieren müsse.
Die Klage hatte vor dem LSG jedoch keine Aussicht auf Erfolg. Es bestand nämlich schlicht und ergreifend keine Anspruchsgrundlage für eine Schuldübernahme. Denn trotz der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit der Direktzahlung von Miete an den Vermieter entsteht dadurch keine Rechtsbeziehung zwischen Vermieter und Jobcenter. Der Vermieter hat dem Jobcenter gegenüber somit keine eigenen einklagbaren Ansprüche.
Hinweis: Die Direktzahlung dient alleine der Sicherstellung der zweckentsprechenden Verwendung der Unterkunftsleistungen. Sie hat nicht den Zweck, den Vermieter zu begünstigen und dafür zu sorgen, dass er leichter seine Forderungen eintreiben kann.
Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 03.02.2022 - L 11 AS 578/20
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 06/2022)
Ein immer häufiger auftretendes Phänomen, das die Polizei nicht in den Griff bekommt, ist die vermehrte Anzahl gesprengter Geldautomaten. Dass dieser Umstand Anwohner in direkter Nähe eines solchen für Kriminelle attraktiven Anziehungspunkts sorgt, scheint verständlich. Wie jedoch die Möglichkeiten aussehen, sich gegen einen solchen Geldautomaten im selbstbewohnten Objekt zu wehren, zeigt das folgende Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).
Die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) eines Mehrfamilienhauses hatte einer Bank im Rahmen einer Teilungserklärung Gewerbeflächen im Erdgeschoss und im Keller vermietet. Und wie es sich für eine Bank gehört, befand sich im Erdgeschoss der Filiale auch ein Geldautomat. Als das Modell aufgrund neuer Richtlinien des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft gegen ein massiveres Gerät ausgetauscht werden sollte, begann der Ärger zwischen beiden Parteien. Sensibilisiert auf die Gefahren, die höhere Geldbeträge naturgemäß anziehen, hatten die Bewohner des Mehrfamilienhauses nun Angst, dass dieser Geldautomat gesprengt werden könnte. Dies riskiere nicht nur das Haus, sondern unter Umständen auch Leib und Leben. So zog die WEG vor das OLG, um den Geldautomaten dauerhaft entfernen zu lassen. Erfolg hatte sie allerdings nicht.
Die WEG hatte mit dem Betrieb einer Bankfiliale auch das Aufstellen eines Geldautomaten genehmigt. Eine Änderung der Benutzungsregelungen könne aber nur einstimmig beschlossen werden. Die lediglich abstrakte Gefahr eines Zugriffsversuchs durch Kriminelle genüge nicht, um der Bank als Mieterin einer Teileigentumseinheit die ihr genehmigte Nutzung zu untersagen.
Hinweis: Viele Benutzungsregelungen in Wohnungseigentumsanlagen sind eben nur gemeinschaftlich und einstimmig möglich. Das sollten insbesondere Käufer einer Wohnung wissen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.03.2022 - I-9 U 25/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Eine eiserne Regel im Mietrecht besagt: Wer mit seinen Mietzahlungen in Verzug ist, riskiert die Kündigung. Dass aber auch Eisen unter bestimmten Voraussetzungen biegsam ist, zeigt der folgende Fall des Landgerichts Berlin (LG) - oder wie die Juristen sagen: Es kommt immer auf den Einzelfall an.
Die Mieter des Falls standen unter Betreuung. Ihre gesetzliche Betreuerin hatte den Dauerauftrag für die Mietzahlungen gekündigt und die Vermieterin gebeten, die Mieten künftig im Lastschriftverfahren einzuziehen. Dem war die Vermieterin jedoch nicht nachgekommen und hatte gesagt, dass dies aus technischen Gründen nicht möglich sei. Da es die Betreuerin nicht geschafft hat, den zuvor gekündigten Dauerauftrag wieder rechtzeitig neu einzurichten, kam es schließlich zu einem Zahlungsverzug in Höhe von zwei vollen Monatsmieten. Die Mieter bekamen die Kündigung und schließlich eine Räumungsklage.
Die Kündigungsklage wurde jedoch vom LG abgewiesen. Es ging kündigungsrechtlich zu Lasten des Vermieters, wenn er den Mieter ohne vorherige Zahlungsaufforderung durch den umgehenden Ausspruch einer Zahlungsverzugskündigung "ins Messer laufen lässt", obwohl er erkennen musste, dass der Zahlungsrückstand nicht auf der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen.
Hinweis: Trotz dieses Urteils bleibt es bei dem Grundsatz, dass Mieter dringend darum bemüht sein sollen, nicht mit mehr als einer Miete in Verzug zu geraten.
Quelle: LG Berlin, Urt. v. 08.02.2022 - 67 S 298/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 06/2022)
Über die Brandgefahr von Elektroautos wird vielfach diskutiert. Ob jedoch Eigentümer Elektroautos einfach aus einer gemeinsamen Tiefgarage aussperren dürfen, musste im folgenden Fall das Amtsgericht Wiesbaden (AG) bewerten.
Auf einer Eigentümerversammlung wurde mehrheitlich beschlossen, dass das Abstellen von Elektroautos in der gemeinsamen Tiefgarage bis auf weiteres untersagt wurde. Die Mehrheit der Eigentümer behauptete, dass eine erhöhte Brandgefahr von Elektrofahrzeugen ausgehen würde. Die Eigentümerin einer Wohnung - verbunden mit einem Sondernutzungsrecht eines Tiefgaragenstellplatzes - klagte gegen diesen Beschluss. Und das AG gab ihr Recht.
Ein Beschluss der Eigentümerversammlung, der das Abstellen von E-Autos in der Tiefgarage bis auf weiteres untersagt, macht den individuellen Rechtsanspruch aus § 20 Abs. 2 Nr. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zunichte und verstößt damit gegen ein wesentliches gesetzgeberisches Ziel der WEG-Reform. Ein solcher Beschluss verstößt daher gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung - auch wenn man zugunsten der Wohnungseigentümergemeinschaft als wahr unterstellt, dass die Brandgefahr bei Elektrofahrzeugen größer ist als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.
Hinweis: Mit dem WEG hat der Gesetzgeber jedem einzelnen Wohnungseigentümer ein individuelles Recht auf die Gestattung baulicher Maßnahmen gegeben, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen. Dieses Recht ist nicht abdingbar.
Quelle: AG Wiesbaden, Urt. v. 04.02.2022 - 92 C 2541/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Rücksicht sollte generell zu den guten Umgangsformen gehören. Das gilt auch für Vertragsparteien, die sich womöglich nicht "ganz grün" sind. Denn Fakt ist, dass Beleidigungen nicht nur persönliche Kränkungen, sondern daraus resultierend auch Rechtsfolgen haben können. Genau so erging es nicht nur einem einzelnen Mieter vor dem Amtsgericht München (AG) - gleich seine gesamte Wohngemeinschaft (WG) wurde dabei in Mitleidenschaft gezogen.
Nach der Hausordnung war es nicht gestattet, Gegenstände im Eingangsbereich des Mietshauses abzustellen. Zwei Bewohner einer WG stellten dennoch ihre Fahrräder dort ab. Das behinderte den Durchgang für Mieter, die mit ihrem Kinderwagen nicht passieren konnten. Schließlich verständigten sie den Vermieter, der sich zu einem gemeinsamen Gespräch in das Mietshaus begab. In dem darauffolgenden Gespräch eskalierte die Situation. Einer der Bewohner beleidigte schließlich den Vermieter mit den Worten "Wer bist Du? Halt die Fresse!" und berührte ihn dabei am Oberkörper, so dass er ausweichen musste. Der Vermieter erstattete daraufhin Strafanzeige und kündigte das Mietverhältnis außerordentlich und fristlos. Schließlich erhob er Räumungsklage.
Das AG verurteilte alle Mieter der Wohnung dazu, die Wohnung zu räumen. Die Zurechtweisung des Vermieters im Beisein anderer Hausbewohner und Mieter durch die Wortwahl "Halt die Fresse!" stellt eine Kundgabe der Nichtachtung und Missachtung dar, da sie den Vermieter auf eine unmenschliche Ebene herabwürdigt. Erschwerend kam hinzu, dass die Beleidigung von einer Tätlichkeit flankiert war, die zumindest nötigenden Charakter hatte. In diesem Fall war auch eine Abmahnung entbehrlich, weil ein derart zerstörtes Vertrauen durch eine Abmahnung auch nicht wiederhergestellt werden könne.
Hinweis: Auch wenn nur einer der Mieter ausfällig wurde, mussten alle WG-Bewohner ausziehen. Das Verschulden des einen Mieters wurde auch den anderen Bewohnern zugerechnet. Das sollten Mitglieder von WGs wissen.
Quelle: AG München, Urt. v. 13.01.2022 - 473 C 9473/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 06/2022)
Zum Thema Sonstiges
- Dienstanbieter in der Pflicht: Ehrverletzende Posts müssen auch in kerngleichen Varianten ohne erneuten Hinweis gelöscht werden
- Fernabsatzverträge und ihre Ausnahme: EuGH verneint Widerrufsrecht bei Onlinekäufen von Veranstaltungstickets
- Klarname, E-Mail, Telefon: Tatbestand der Beleidigung zwingt Instagram zur Datenherausgabe
- Negativbewertung zulässig: Wer sich beruflich aktiv auf Bewertungsportalen bewegt, muss scharf formulierte Kritik hinnehmen
- Neues zur Berufsunfähigkeitsrente: Auch Versicherte mit psychosomatischen Leiden können Leistungsanspruch haben
Ein Fall, der durch die analogen und digitalen Medien ging und zu beachtlichen Folgen für die Betreiber sozialer Netzwerke führte: Eine Politikerin wagte den augenscheinlichen Kampf gegen Windmühlen - und es war am Landgericht Frankfurt am Main (LG), ihre Unterlassungs- und Schmerzensgeldansprüche nach der Ehrverletzung durch Falschzitate zu bewerten.
Auf Facebook erschien ein Bild einer Bundestagsabgeordneten der Grünen, dem folgendes Zitat beigefügt war: "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!" Dieses Zitat hatte die Grünen-Politikerin jedoch nicht getätigt. Deshalb verlangte sie von Facebook die Löschung des Eintrags. Da der Post zudem in verschiedenen Varianten mit leicht verändertem Layout oder veränderten Texten veröffentlicht wurde, klagte sie nun darauf, dass der Konzern es unterlässt, sogenannte Memes (Wort-Bild-Kombinationen) mit kerngleichem Inhalt auf Facebook öffentlich zugänglich machen zu lassen.
Die Abgeordnete hatte in Augen des LG durchaus einen Anspruch darauf, dass Varianten dieser Memes mit kerngleichem Inhalt gelöscht werden. Außerdem stand ihr wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Schmerzensgeldanspruch von 10.000 EUR zu. Ein Diensteanbieter muss zwar nicht ohne einen Hinweis alle ins Netz gestellten Beiträge auf eine eventuelle Rechtsverletzung prüfen. Nachdem die Abgeordnete aber konkret darauf hingewiesen hatte, dass die ihr zugeschriebene Äußerung ein Falschzitat ist, muss sie diesen Hinweis nicht für jeden weiteren Rechtsverstoß unter Angabe der jeweilgen URL wiederholen.
Hinweis: Immer dann, wenn Menschen falsch zitiert werden und diese Zitate auch noch verbreitet werden, ist ein rechtliches Vorgehen geboten. Helfen kann dabei der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 08.04.2022 - 2-03 O 188/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Auch für Kultur- oder Sportveranstaltungen können Karten online gekauft werden. Wie es dabei mit dem Widerrufsrecht bei Internetverträgen aussieht, musste das Amtsgericht Bremen (AG) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen, als ein Ticketkäufer sich nach coronabedingter Konzertabsage nicht mit einem Gutschein abspeisen lassen wollte.
Peter Maffay live! - das wollte sich der Kläger in diesem Fall nicht entgehen lassen und kaufte online Tickets für ein Konzert in Braunschweig. Bei der entsprechenden Konzertagentur handelte es sich nicht um die Veranstalterin, sondern um eine Ticketsystemdienstleisterin. Statt Peter Maffay kam schließlich die Corona-Pandemie - das Konzert wurde abgesagt und der Mann erhielt einen Gutschein. Damit war er nicht einverstanden und verlangte den von ihm gezahlten Ticketpreis zurück. Schließlich klagte er beim AG, das dem EuGH den Fall vorlegte - das AG wollte wissen, ob der Käufer überhaupt ein Widerrufsrecht seines Vertrags hatte.
Zuerst einmal steht einem Verbraucher, der mit einem Unternehmer einen Fernabsatzvertrag geschlossen hat, laut EU-Richtlinie grundsätzlich für einen bestimmten Zeitraum das Recht zu, den Vertrag ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Die Frist beträgt normalerweise 14 Tage und kann sich verlängern, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Der EuGH stellte jedoch klar, dass beim Kauf unmittelbar sowohl beim Veranstalter als auch über einen Vermittler kein Widerrufsrecht besteht, sofern das wirtschaftliche Risiko der Ausübung des Widerrufsrechts den Veranstalter treffen würde. So ist ein Widerrufsrecht unter anderem in dem Fall ausgeschlossen, wenn eine Dienstleistung im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen erbracht wird und der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin vorsieht.
Hinweis: Bei sogenannten Haustürgeschäften oder bei Käufen im Internet gibt es ein Widerrufsrecht. Handelt es sich aber um einen Onlinekauf von Eintrittskarten für Kultur- oder Sportveranstaltungen, gibt es eine Ausnahme von der Ausnahme, nämlich keine Widerrufsmöglichkeit - kompliziert, aber wichtig zu wissen.
Quelle: EuGH, Urt. v. 31.01.2022 - C-96/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Wer auf Social-Media-Plattformen in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt wird, hat ein Recht darauf, gegen den Verletzer vorzugehen. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) musste klären, wie man als Geschädigte an den Namen und die Adresse des Täters kommt.
Eine unbekannte Person eröffnete einen Account bei Instagram mit dem Namen einer Frau mit dem Zusatz "X_wurde_gehackt". Sodann wurden Bilder von lediglich in Unterwäsche bekleideten jungen Frauen gezeigt, die sich angeblich dahingehend äußerten, an einer Vielzahl von sexuellen Kontakten interessiert zu sein. Die geschädigte Frau wurde von anderen Personen auf den Account hingewiesen, meldete das Konto, und es wurde gesperrt. Nun verlangte sie Auskunft über die Nutzerdaten der unbekannten Person - die sie schließlich einklagte.
Das OLG verurteilte Meta als Betreiberin von Instagram dazu, den Klarnamen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer des Nutzers herauszugeben. Schließlich war eine strafrechtlich relevante Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt. Die Schaffung des Fake-Accounts und das Einstellen der Fotos mit Kommentaren erfüllten den Tatbestand der Beleidigung. Durch das Erstellen des Fake-Accounts und Hochladen der Fotos nebst Kommentaren wurde suggeriert, die Antragstellerin wolle sich auf diese Weise zur Schau stellen und den Besuchern der Seite ihr sexuelles Interesse mitteilen.
Hinweis: Im Fall der Fälle kann ein versierter Rechtsanwalt weiterhelfen. Wichtig ist, dass man sich nicht alles gefallen lässt, was im Internet passiert. Denn immer mehr zeigt die Rechtsprechung, dass auch große Konzerne hier geltende Gesetze einzuhalten haben.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 23.02.2022 - 9 Wx 23/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Wer als Gewerbetreibender auf Bewertungsplattformen zu Hause ist, muss negative Kommentare hinnehmen - auch Immobilienmakler. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) war im Folgenden damit beauftragt, über eine Bewertung zu befinden, die von einem Interessenten stammte, der nicht zum Kunden geworden ist und seinen Ärger darüber im Netz kundtat.
Ein Immobilienmakler, der von einem Kunden aufgefordert wurde, wesentlich unter dem geforderten Preis liegende Angebote an den Verkäufer weiterzugeben, lehnte das mit dem Hinweis ab, dass er keine unseriösen Angebote weitergebe. Schließlich führte der Streit dazu, dass der Kunde den Makler auf der Internetplattform "Google Places" schlecht bewertete. Er führte dabei unter anderem aus: "Ich persönlich empfand Herrn (...) als arrogant und nicht hilfsbereit. Herr (...) sagte mir, ,Kunde ist man, wenn man gekauft hat‘. Offensichtlich nicht vorher, so habe ich mich auch gefühlt." Gegen diese Bewertung klagte der Immobilienmakler und verlangte die Unterlassung der Verbreitung dieser Bewertungen. Mit seiner Klage hatte er allerdings keinen Erfolg.
Das OLG war der Auffassung, dass sich ein Immobilienmakler, der zum Zweck der Förderung seiner Geschäfte aktiv den Auftritt in einem Bewertungsportal gesucht hat, Kritik an seiner gewerblichen Leistung in der Regel auch dann gefallen lassen müsse, wenn sie scharf formuliert sei. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden - auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.
Hinweis: Natürlich können von einer negativen Bewertung Betroffene dagegen vorgehen. Erfolgversprechend ist es zumindest dann, wenn eine Bewertung gegen geltendes Recht oder die Richtlinien des Bewertungsportals verstößt.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 16.02.2022 - 9 U 134/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist wichtig. Doch ist es hinreichend bekannt, dass sich Versicherungen dann und wann im Schadensfall zieren. Vor dem Landgericht hatte die Klage des Versicherten auf Leistung nach einer Vielzahl von Gutachten keinen Erfolg; auf psychiatrischem Gebiet war offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willentlicher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten. Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) sah das Ganze jedoch anders aus.
Ein Arbeitnehmer war als Flugzeugabfertiger tätig. Er hatte schon vor mehreren Jahren eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Als das Arbeitsverhältnis wegen gesundheitlicher Beschwerden mit einem Aufhebungsvertrag endete, wollte der Arbeitnehmer sodann Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung erhalten. Doch diese lehnte die Leistungen ab: Es seien keine somatischen oder psychischen Erkrankungen feststellbar.
Nach Einholung eines internistisch-rheumatologischen Gutachtens und aufwendiger Diagnostik stand für das OLG zwar fest, dass sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen werden können - es wurden jedoch von dem Sachverständigen auf somatischem Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40 % festgestellt. Hieran anknüpfend war der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der überzeugenden Feststellung einer "chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren" gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50 % im zuletzt ausgeübten Beruf führten. Das OLG verurteilte die Versicherung daher zur Leistung aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung.
Hinweis: Nach diesem Urteil können Betroffene mit psychosomatischen Beschwerden darauf hoffen, auch in den Genuss von Zahlungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu kommen. Doch Vorsicht: Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Beklagte kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision beim Bundesgerichtshof begehren.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.02.2022 - 7 U 199/12
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(aus: Ausgabe 06/2022)